
Die Frage nach bezahlbarem Wohnraum ist eine der großen sozialen Fragen unserer Zeit. Viele politische Instrumente wie Mietpreisbremse oder Baukindergeld behandeln nur Symptome. Die vom Verfassungsgericht angemahnte Grundsteuerreform bietet eine Gelegenheit, das Problem an der Wurzel zu packen: die Bodenwertsteuer
Die Frage nach bezahlbarem Wohnraum ist eine der großen sozialen Fragen unserer Zeit. Das liegt bei weitem nicht nur daran, dass die Bevölkerung in Köln, München oder Berlin schneller angewachsen ist als die Anzahl der neugebauten Wohnungen und in der Marktlogik bei Knappheit Preise nach oben gehen.
Unsere Wohnungen und damit unsere Mieten werden vor allem deshalb so viel teurer, weil Wohnungen auch als „Betongold“, als attraktive Wertanlage angesehen werden. Die hohe Wertsicherheit und stetige Wertsteigerung rührt im wesentlichen von dem starken Anstieg der Boden- und Baulandpreise. Hans Jochen Vogel, ein ehemaliger Münchner Bürgermeister und SPD Vorsitzender rechnet in „Mehr Gerechtigkeit!“, seinem 2019 erschienen Buch vor, dass sich der Preis für Bauland in München von 1950 -2015 um sage und schreibe 34283% erhöht hat.
Der exorbitante Baulandpreis macht beim Wohnungsbau oder -kauf heute in München oft 80% der Gesamtkosten aus. Grund und Boden ist prinzipiell unvermehrbar und unentbehrlich. Kreditinstitute schätzen diese sichere Bank und pumpen mit ihrem Geldschöpfungs-Privileg und einer Refinanzierungsindustrie über Hypothekenkredite immer mehr Geld in die gleichbleibende Menge an Grund und Boden und treiben damit in einer gefährlichen Aufwärts-Spirale praktisch überall auf der Welt die Immobilien-Preise nach oben (siehe z.B. Why you can’t afford a home von Josh Ryan-Collins)
Das Kern-Problem: Privatisierung der Bodenrente
Die Erträge aus diesem Beton-Goldrausch, den Bodenwertsteigerungen belaufen sich laut Vogels Schätzung in Deutschland auf mehrere Billionen Euro. Sie sind überwiegend in private Hände geflossen. Sie sind allerdings gänzlich ohne zutun der Eigentümer entstanden. Die oft bemühte Formel Lage, Lage, Lage hat nur etwas mit dem Umfeld zu tun, mit der kommunalen Infrastruktur. Mit den Schulen, Universitäten, den Parks, dem kulturellen Angebot, der Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr etc. Die Eigentümer schöpfen diesen Wert ab, sie erzeugen keinen. In diesem System kann man im schlimmsten Fall reich werden durch reines Horten von Grund und Boden. Die Gesellschaft wird durch Bodenwertsteigerungen aber nicht produktiver.
Trotzdem wird das Leben deutlich teurer. Die Mieten in den Ballungszentren steigen schneller als die Löhne und machen insbesondere die Mieter effektiv ärmer zugunsten einer kleinen Schicht der Besitzenden. Deutschland zählt weltweit zu den Ländern mit der größten Vermögensungleichheit und das Vermögen besteht hauptsächlich aus Immobilien auf knappem, begehrtem Grund und Boden.
Viele politische Instrumente behandeln nur die Symptome
Viele politische Instrumente, wie etwa Mietpreis-Deckelung oder Mietzuschüsse behandeln Symptome. Es ist mit Sicherheit sinnvoll, öffentliche Zuschüsse in der Wohnungspolitik wieder stärker auf die Angebotsseite auszurichten: die Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus. Statt wie in den letzten 30 Jahren, insbesondere nach Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit durch die Kohl-Regierung, fast ausschließlich auf die Nachfrageseite zu setzen, etwa mit der Eigenheimzulage oder jetzt dem Baukindergeld. Darüberhinaus wäre es gut, den Empfehlungen der Baulandkomission von 2019 zu folgen: Liegenschaften von Bund Land und auch Kirchen für die Bebauung mit Wohnungen zu mobilisieren und die Planungs-Befugnisse, Prozesse und Personalausstattung der Kommunen zu stärken, etwa zur besseren Durchsetzung von Baugeboten. Aber all diese Dinge führen nicht zu einer systemischen Lösung, weil sie das Problem nicht bei der Wurzel packen: die Privatisierung der Bodenrente.
Vergesellschaftung des Bodens keine Lösung
Wir müssen also Wege finden, die Bodenrenten für das Gemeinwohl zu erschließen. Oft wird Wien oder in jüngerer Zeit auch Basel mit dem hohen Anteil an öffentlichem Eigentum als Vorbild genannt. Diese Chance hätte man in Ostdeutschland gehabt. Statt dass die Treuhand Grund und Boden verscherbelt, hätte man etwa nach dem Vorbild von Singapur oder Südkorea Verfügungsrecht und Nutzungsrecht an Grund und Boden trennen können oder Boden grundsätzlich nur per Erbpacht an Private weitergeben können. Dieser Weg ist angesichts leerer Gemeindekassen nur langfristig in kleinen Schritten per gestärktem Vorkaufsrecht und gezielter Förderung von genossenschaftlichem, gemeinnützigen Eigentumsmodellen möglich. Eine groß angelegte Enteignung ist aber in unserer liberalen Demokratie sicher nicht der Weg nach vorne.
Die vom Verfassungsgericht angemahnte Grundsteuer Reform bietet uns eine Chance auf eine systemische Lösung
Aber es gibt hier und jetzt eine Möglichkeit für eine grundsätzliche Weichenstellung zur Lösung des Problems: Die Grundsteuerreform. 2018 hat das Verfassungsgericht ein Ultimatum gesetzt. Die Grundsteuer soll, so die zentrale Forderung des Bundesverfassungsgerichts: Wirtschaftsgüter, genauer den Belastungsgrund in seiner Relation zueinander realitätsgerecht abbilden. Die zur Zeit zugrunde liegende Bodenbewertung ist nämlich hoffnungslos veraltet: Im Westen stammt sie aus dem Jahr 1964 und Im Osten sogar von 1935.
Flächenmodell privatisiert Gewinne und sozialisiert Kosten
Die Bayern, die FDP und eine zeitlang auch eine der Immobilien-Lobby verpflichtete SPD in Hamburg hatten schnell einen Vorschlag parat: Das sogenannte Flächenmodell. Nach dem Motto: Gewinne privatisieren, Kosten sozialisieren, fordern sie, die Grundsteuer nur an der Fläche der Grundstücke und Immobilien zu bemessen. Damit schont man die wertvollen Lagen und verteilt die Kosten ganz „gerecht“ gleichmäßig auf alle. Argumentiert wird mit schlanker Staat und einfache Lösung. Und für die Feinschmecker der Gesetzes-Kunst wird das Äquivalenzprinzip bemüht und scheinheilig verdreht beispielsweise in einer Studie des ifo Instituts im Auftrag von Haus & Grund Deutschland – Zentralverband der Deutschen Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer e.V. sowie ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V. Die Inanspruchnahme der kommunalen Infrastruktur stehe in proportionalem Verhältnis zur Fläche, sei also als äquivalente Bezahlung der kommunalen Dienstleistung zu sehen. Verschwiegen wird die andere Seite des Äquivalenzprinzips, dass die in die Höhe schießenden Bodenwerte einzig und allein mit dem drum herum, der Lage, der Gemeinschaft zu tun haben. Also Einkommen ohne eigenes zutun sind, die Wert abschöpfen nicht Wert schaffen und deshalb äquivalent besteuert werden sollten und nicht über die Fläche wegdefiniert werden dürfen.
BMF Modell erfüllt den Reformauftrag des Bundesverfassungsgerichts nicht
Mit Olaf Scholz als Dirigent des Bundesministeriums für Finanzen hat die Grosse Koalition und der Bundesrat kurz vor Ablauf des Ultimatums Ende letzten Jahres schließlich ein missglücktes Kompromiss-Modell beschlossen, dass im wesentlichen den Status quo fortschreibt und auf vor allen Dingen auf den Wert der Gebäude, nicht des Bodens abzielt.
- Den Gebäudewert zu besteuern ist aber kontraproduktiv und investitionsfeindlich. Es bestraft regelrecht die ökologisch enorm wichtige energetische Modernisierung sowie den sozial notwendigen Ausbau oder Neubau für mehr Wohnraum.
- Sie fördert zudem in keiner Weise die Mobilisierung von bestehendem Bauland.
- Das BMF Modell begünstigt schließlich systematisch die hochwertigen Lagen und droht damit vorm Verfassungsgericht verworfen zu werden. Johanna Hey, Professorin für Steuerrecht in Köln und seit 2006 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Finanzen kritisiert anlässlich einer Anhörung im Bundestag: „das Grundsteuer-Reformgesetz ist nicht in der Lage, den im Grundsteuerurteil vom 10. April 2018 aufgestellten Reformauftrag des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen.“
Immerhin war man so weise, im föderalen Kompetenzgerangel eine Tür für eine bessere Lösung offen zu halten:
Öffnungsklausel für die Bundesländer, die nun die nahezu ideale Lösung, eine Bodenwertsteuer einführen könnten:
Die Bodenwertsteuer setzt zielgenau am Kernproblem an, der Privatisierung der Bodenrente. Sie schöpft einen Teil der durch die Gemeinschaft erwirtschafteten Erträge für die Gemeinschaft wieder ab. Sie hält die Gebäude aus der Berechnung heraus und betrachtet für die Bemessung der Grundsteuer ausschließlich den Bodenwert . Sie ist
- ökologisch: Sie fördert ökologisch eine optimale Ausnutzung des Baulands und wirkt Zersiedlung und Flächenfrass entgegen, in dem sie direkt den Natur- oder Flächenverbrauch bepreist.
- sozial: Sie unterstützt die Planung in den Gemeinden, fördert Aus- und Neubau, mobilisiert Bauland und wirkt Bodenspekulationen entgegen und entspannt damit die Wohnungsnot in den Ballungsräumen. Für viele Mieter, an die die Grundsteuer bis jetzt weitergegeben wird, wird diese Regelung günstiger werden. Denn im Mehrfamilienhaus teilen sich dann mehr Mietparteien die Grundsteuer als im Einfamilienhaus. Darüberhinaus sollte die Umlagefähigkeit der Grundsteuer in der Betriebskostenverordnung aufgehoben werden und die Grundsteuer zu einer Eigentümersteuer umgewandelt werden.
- ökonomisch effizient, sogar die effizienteste Steuer, die es überhaupt gibt. Von Adam Smith, David Ricardo, Henry George haben sich 10 Nobelpreisträger sehr explizit dafür ausgesprochen. Milton Friedmann hat sie als die am wenigsten schädliche Steuer bezeichnet. Ein wichtiger Grund: Laut Steuertheorie verzerrt eine Steuer das Marktgleichgewicht um so weniger, je weniger eine Preisänderung die Nachfrage beeinflusst. Das ist für den prinzipiell begrenzten Boden in extremem Ausmaß der Fall. Deshalb wir die Bodensteuer auch als superneutrale Steuer bezeichnet.
- einfach und mit geringem Aufwand verbunden, sowohl aus Sicht der Steuerpflichtigen als auch aus Sicht der Steuerbehörden. Grundstücksgrößen liegen ohnehin vor und Bodenrichtwerte werden bereits heute bei der Berechnung der Erbschaftssteuer verwendet.
- eine ideale Plattform für eine nachhaltige und wettbewerbsfähige Steuersystematik: Deutschland besteuert Arbeit international mehr als fast alle anderen Länder und Grund und Boden weniger. Die südostasiatischen Länder genau umgekehrt. Nicht zuletzt deswegen wird Deutschland seit Jahren von der OECD aufgefordert, Arbeit zu entlasten und Grund und Boden stärker zu belasten. Die Umschichtung von Steuern weg von Arbeit und ungerichteten Verbrauchssteuern hin zu Steuern von Ressourcenverbrauch und leistungslosen Einkommen ist der wesentliche Leitgedanke eines sozial-ökologischen Steuerumbaus.
Bleibt ein politisch kluger Umgang mit den Belastungsverschiebungen:
Die Reform sollte im ersten Schritt auf Gemeindeebene aufkommensneutral vorgenommen werden, so dass die Menschen zumindest im Mittel nicht mehr und nicht weniger Grundsteuer zahlen als bisher auch. Somit vermeidet man, dass sich die Reform vermengt mit Fragen des Länderfinanzausgleichs oder Verschiebungen zwischen städtischen und ländlichen Gemeinden. Die progressive Wirkung innerhalb der Gemeinden dagegen ist gewünscht und expliziter Auftrag des Verfassungsgerichts. Allerdings kann es wie bei jeder Systemumstellung für Einzelfälle oder bestimmte Gruppen zu deutlichen Veränderungen kommen, die man durch Escape-Klauseln, Härtefall- und Übergangsregeln abfedern sollte. Beispielsweise für Haushalte mit hohem Immobilienvermögen, aber geringem Einkommen. Für diese könnte man Zusatzlasten auf den Erbfall oder den Verkauf einer Immobilie verschieben.
Ein breiter gesellschaftlicher Konsens ist bereits da:
Edith Sitzmann, grüne Finanzministerin in Baden-Württemberg hat einen Entwurf für eine Bodenwertsteuer ausgearbeitet. Die Berliner SPD setzt sich für eine Bodenwertsteuer in Berlin ein. Die Initiative Grundsteuer: Zeitgemäß! bündelt Unterstützung für eine Bodenwertsteuer aus allen politischen Lagern: MieterBund, Nabu, DIW, und auch vom arbeitgebernahen Institut für Wirtschaft IW.
Eine Änderung steht in jedem Fall an. Die Flächensteuer ist grob ungerecht, das BMF Modell ist investitionsfeindlich und damit unökologisch und unsozial und hat das Risiko vor dem Verfassungsgericht gekippt zu werden. Die Bodenwertsteuer ist mit Abstand die beste Lösung: ökologisch, sozial, ökonomisch, administrativ. Sie bietet eine Plattform für eine fundamentale sozialökologische Umstellung des Steuersystems und sie findet breite Unterstützung in allen politischen Lagern.
Schönen Gruß aus Berlin
2 Gedanken zu „Plädoyer für eine Bodensteuer“
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