Alles Umkrempeln! Ein faires, progressives und ökologisches Steuersystem für unsere Zukunft

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Fragt man, was das deutsche Steuersystem für Chancengleichheit, Armutsbekämpfung und zum Umbau in eine fossil-freie Kreislaufwirtschaft beiträgt, ist die Antwort außerordentlich ernüchternd: fast nichts. Im Gegenteil durch die Untätigkeit verschärfen sich die langfristigen Trends zu mehr Ungleichheit und Zerstörung unserer Umwelt. Mit dem Versuch des Klimapakets, ökologische Steuern sozial auszutarieren, tritt man auf der Stelle. Die Reformdebatten der Parteien verhaken sich im Streit um Steuererhöhungen versus Steuersenkungen statt die Struktur unseres Steuersystem insgesamt in Frage zu stellen. Wir brauchen einen systemischen Umbau. Wir brauchen ein faires, progressives und ökologisches Steuer- und Sozial-System.

Warum gibt es eigentlich Steuern? Der Hauptzweck von Steuern ist, öffentliche Leistungen wie Gerichte, Polizei, Kindergärten, Schulen und Universitäten, Krankenhäuser oder unsere Infrastruktur, wie Kanalisation, Straßen und Brücken zu finanzieren. Darüberhinaus gibt es aber noch zwei weitere zentrale Zwecke:

  • den sozialen Zweck, Verteilungsgerechtigkeit sicherzustellen. Dafür zu sorgen, dass niemand unter Armut leiden muss und für alle faire, effektive Chancengleichheit besteht, sowie
  • den Lenkungs- Zweck, das wörtliche „Steuern“ von Verhaltensweisen. Insbesondere durch höhere Preise für Handlungen zu Lasten der Umwelt dafür zu sorgen, dass unsere Umwelt nicht länger mit Müll und Abgasen vergiftet wird und unsere Wirtschaft in eine nachhaltige, fossil-freie Kreislaufwirtschaft umgebaut wird.

Die Politik der letzten 30 Jahre war, Wohlhabende und Unternehmen immer weniger am Steueraufkommen zu beteiligen. Stattdessen wurde die für alle gleich geltende Mehrwertsteuer mehrfach erhöht. Umweltsteuern ist man aufgrund von befürchteten globalen Wettbewerbsverzerrungen weitgehend aus dem Weg gegangen. Diese Politik verschärft die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen und fördert durch ihre scheinbare Neutralität sozialen und ökologischen Raubbau.

Der politische Streit über die richtige Steuerpolitik dreht sich hauptsächlich um die Frage, ob das Steueraufkommen insgesamt höher oder niedriger sein soll.

Die rechten Parteien CDU, CSU und FDP versuchen sich als Steuersenkungs-Parteien zu profilieren, ebenso die AfD. Sie wollen beispielsweise den Solidaritätszuschlag abschaffen und den Anstieg der Einkommensteuer bei hohen Einkommen abflachen. Sie fordern mehr Effizienz und mehr Privatisierung von Staatsaufgaben. Das zentrale Anliegen des Bunds der deutschen Steuerzahler lautet: „wer Steuern zahlt will Sparsamkeit“. Das Thema Armut wird weitgehend ignoriert, Umweltpolitik auf Europa verlagert und dort ausgebremst.

Die Linken, Grüne und auch die SPD wollen die „Superreichen“ stärker am Steueraufkommen beteiligen, etwa durch höhere Spitzensteuersätze, die Wiedereinführung einer Vermögensteuer, die seit 1997 nicht mehr erhoben wird, sowie die Schärfung der Erbschaftsteuer. Die Grünen und SPD haben jedoch eine Scheu davor, irgendwelche Steuern zu fordern, die die Mitte der Gesellschaften betreffen. Das fängt an bei der Versicherung, dass Steuererhöhungen nur für die wirklich Superreichen gelten sollen. Die Diskussion konzentriert sich darüber hinaus auf die absolut gerechtfertigte, aber den Steuerdiskurs beherrschende Forderung, gegen Steuer-Tricksereien, Geldwäsche, Steuerflucht und Steuervermeidung vorgehen zu wollen. Selbst beim Leitinstrument der ökologischen Wende, dem CO2 Preis, wollen die Grünen das Wort Steuern vermeiden und alle Erträge wieder ausschütten, statt an ihr großes Projekt der 90er anzuknüpfen, der ökologischen Steuereform: Der Verlagerung der Steuerbasis von Arbeit auf Ressourcen-Verbrauch.

Vor lauter Sorge, den Wähler*innen Änderungen erklären zu müssen, fällt die Diskussion über eine Reform der Struktur unseres Steuersystems, unabhängig vom Steueraufkommen, völlig unter den Tisch. Unser Steuer- und Sozial-System muss fairer, progressiver und ökologischer werden:

  1. Fair und effizient: Einkommen dessen Kosten auf die Allgemeinheit abgewälzt werden, sollten im Sinne des Gegenseitigkeits-Prinzips einen besonders hohen Beitrag für die Allgemeinheit leisten. Es ist beispielsweise absolut inakzeptabel, dass Einkommen aus dem Besitz von Grund und Boden, das ihren Besitzer*innen ohne eigenes Zutun zufließt und das gleichzeitig die wichtigste Quelle von Vermögensungleichheit in Deutschland ist, kaum zum Steueraufkommen beitragen. Ökonom*innen gleicher welcher Couleur halten das für die beste Steuerquelle überhaupt. In der breiteren Gesellschaft redet jedoch kaum eine(r) darüber.
    Des weiteren ist es in der Unternehmenswelt nicht einzusehen und absolut ineffizient, warum der Steuerbeitrag davon abhängen soll, welche Rechtsform das Unternehmen wählt. Es ist kontraproduktiv, dass die Finanzierung über Schulden steuerlich gegenüber einer Finanzierung über Eigenkapital privilegiert wird. Es ist ineffizient, wenn Abschreibungsregeln in die unternehmerische Wahl der geeignetsten Investitionen eingreifen.
  2. Progressiv und sozial: Es kann nicht sein, dass die Einkommens-Schwächsten in unserem heutigen Flat-Tax System gemessen am Einkommen genauso viel Steuern bezahlen müssen wie die Wohlhabenden. Warum tragen die Wohlhabenden nicht zu unserem Sozial-System bei? Weshalb ist die Diskussion über solidarische Bürgerversicherungen verstummt? Warum fordert kaum jemand, dass wir durch höhere Transferzahlungen sicherstellen müssen, dass niemand in unserer Gesellschaft an Einkommensarmut leiden muss? Warum beschränkt sich die Diskussion über eine höhere Besteuerung von Kapital auf eine Abschaffung der Abgeltungsteuer und eine Wiederherstellung des Status von 2009? Kapitalerträge, Unternehmensteuern und unser Sozial-System müssen zusammen gedacht werden. Warum diskutiert kaum jemand über die Einführung einer einheitlichen progressiven zinsbereinigten Gewinn- und Einkommensteuer, die das Sozial-System umfasst? Das wäre ein Weg, den systemischen Zielkonflikt zwischen Effizienz und Progressivität im Steuersystem aufzulösen.
  3. Ökologisch und nachhaltig: die enorme steuerliche Belastung von Arbeit sollte ein Ende haben und Steuern müssen die ökologische Wahrheit sagen. Es kann nicht sein, dass Umweltsteuern durch umweltschädliche Subventionen in gleicher Höhe ausgehebelt werden. Wir müssen die Steuerbasis von Arbeit auf Ressourcen-Verbrauch verlagern. Warum haben die Grünen dieses Programm stillschweigend beerdigt? Warum die Scheu davor, den Zielkonflikt zwischen substantiellen Ökosteuern und sozialen Härten in einem größeren Umbau des Steuer- und Sozialsystem aufzulösen?

In diesem Beitrag wird ein Gesamt-Konzept entwickelt, dass die Ziele von Fairness, Progressivität und ökologischer Nachhaltigkeit in den Vordergrund stellt. Diskussionen nur über einzelne Steuern führen in eine Sackgasse. Eine einzelne Steuer kann nicht gleichzeitig verschiedene Ziele bestmöglich erfüllen. Ein arbeitsteiliges Zusammenwirken mehrerer Steuern jedoch schon. Darüber hinaus entstehen viele Probleme durch die schlechte Verzahnung von zumeist getrennt diskutierten Domänen von Sozial- und Steuersystem, Privat- und Unternehmens-Sphäre sowie Kommunal- und Bundesteuern. Im Fazit schließe ich mit Vorschlägen, wie man das Gesamtkonzept in sinnvollen Blöcken umbauen kann.

1. Unser Steuersystem verschärft Ungleichheit und Umweltzerstörung

1.1. Unser Steuersystem widerspricht dem Leistungsfähigkeitsprinzip

Egal ob arm oder reich, alle tragen ungefähr den gleichen Anteil von ihrem Einkommen an Steuern bei. In einer von der Hans-Böckler-Stiftung finanzierten Studie aus dem Jahr 2017 stellen die Autoren des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und der FU Berlin fest, dass unser Steuersystem insgesamt nur schwach progressiv ist und einer „flat tax“ ähnelt. Das widerspricht dem Leistungsfähigkeitsprinzip, nach dem Menschen mit hohem Einkommen oder Vermögen gemessen an ihren finanziellen Möglichkeiten mehr beitragen sollten als diejenigen, die nur knapp über die Runden kommen.

Besonders prekär lebende Haushalte, die Zuschüsse von der Grundsicherung beziehen und mit sehr wenig Geld auskommen müssen, zahlen zwar keine Einkommensteuer, aber sie zahlen hohe Verbrauchsteuern: etwa 20 Prozent zum Teil sogar über 30% ihres Einkommens. Die Mittelschicht trägt ebenso mit etwa 20 bis 25 Prozent ihres Einkommens bei. Die Bezieher*innen von sehr hohen Einkommen zahlen zwar höhere Einkommensteuern, wenn man aber berücksichtigt, dass diese Personen größere Gestaltungsmöglichkeiten bei den Einkommen haben, z.B. durch Verlagerung ihrer Vermögenswerte und Kapitalerträge in eine Holding oder ins Ausland ist dort der tatsächliche Steuerbeitrag nicht viel höher als bei den Mittelschichten. „Die da oben“ mögen in absoluten Werten den Großteil des Steueraufkommens beitragen – aber relativ zu ihren Einkommen werden sie genauso behandelt, wie Haushalte, die kaum ihre Miete aufbringen können. Schlimmer noch, Menschen, die Transferleistungen beziehen, werden durch unser Steuersystem in einer Armutsfalle gefangen. Nicht selten müssen sie fast 100% des Hinzuverdienten als Steuer wieder abführen. Da lohnt der Aufwand nicht. Armut wird immer mehr zur stigmatisierten Sackgasse, zu einem lebenslangen Schicksal.

1.2 Es gibt neue Höchststände bei Einkommensungleichheit und Vermögenskonzentration

Laut dem aktuellsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hat sich die Anzahl von Menschen, die unter Armut leiden von 1998 bis 2016 von unter 10 Millionen auf knapp 14 Millionen Menschen erhöht. Als arm oder Armuts-gefährdet gilt, wer weniger als etwa 1000 Euro im Monat zur Verfügung hat.

Etwa die Hälfte also ca. 7 Millionen Menschen beziehen staatliche Mindest-Sicherungs-Leistungen wie Arbeitslosengeld II („Hartz 4“) sowie Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung („Sozialhilfe“). Durch die Corona-Krise wird sich diese Zahl deutlich erhöhen.

Die andere Hälfte kommt auch trotz Erwerbstätigkeit nicht über die Armutsschwelle. Die Schröder’schen Reformen haben zwar dafür gesorgt, dass deutlich weniger Menschen ohne Arbeit sind, jedoch zu einem inakzeptabel hohen Preis. Deutschland hat den europaweit größten Niedriglohnsektor aufgebaut mit knapp 8 Millionen Beschäftigten. Jede(r) vierte arbeitet bei uns in ihrer/ seiner Haupttätigkeit niedrig entlohnt, im Gegensatz etwa zu Schweden, wo das nur jede(r) zwanzigste tut. Häufig müssen alleinerziehende Frauen, Menschen mit einem Migrations-Hintergrund, formal gering-Qualifizierte, Beschäftigte, die einfache Tätigkeiten ausüben, Langzeitarbeitslose, geringfügig Beschäftigte (v. a. Minijobber), Beschäftigte auf Abruf, Zeitarbeitnehmer und auch Menschen in Ostdeutschland für eine extrem geringe Bezahlung arbeiten.

Noch extremer entwickelt sich die Ungleichheit bei den Vermögen. Zwei Drittel befindet sich im Besitz von nur 10% der Bürger*innen. 50% der Haushalte in Deutschland besitzen praktische nichts.

Und das, obwohl das Vermögen der deutschen Haushalte insgesamt laut einer Studie von Moritz Schularick und Kollegen vom Macro Finance Lab in Bonn stetig wächst auf mittlerweile 17 Billionen Euro. Das Vermögen setzt sich zur Hälfte aus Besitz von Grund- und Boden sowie Immobilien zusammen, zu einem Viertel aus Firmenanteilen, und der Rest zu je gleichen Teilen aus Versicherungsvermögen (12,5%) und Geld auf Bankkonten (12,5%).

Jedoch haben die sogenannten “Leistungsträger*innen” diese Vermögen zu einem sehr signifikanten Anteil ohne eigenes Zutun aufgebaut:

  • Wertsteigerungen im Immobilienbesitz, dem mit Abstand größten Vermögensanteil der Privathaushalte, werden maßgeblich bestimmt durch den Anstieg der realen Bodenpreise (siehe z.B. hier). Boden ist unverzichtbar und unvermehrbar und die zunehmende Attraktivität in den Ballungszentrum sorgt für eine enorm hohe Rendite, ohne dass die Eigentümer etwas dafür tun müssten. Die Attraktivität entsteht durch kommunale Investitionen in die Infrastruktur, durch das Kultur- und Bildungs- und Freizeitangebot. Die Allgemeinheit trägt die Kosten für diese Erträge und subventioniert das Einkommen der Eigentümer, ohne dass diese derzeit nennenswert davon in Form von Steuern etwas zurückgeben.
  • Wertsteigerungen im zweitgrößten Vermögensblock, den Betriebsvermögen sind geprägt von Firmen, die in der Zeit der Industrialisierung vor über 100 Jahren gegründet wurden und jetzt den Erben zugute kommen. Anders als in den USA erreichen Neugründungen nach 1950 in Deutschland bis auf ein paar Ausnahmen nicht an deren Bewertungen heran. Der Reichtum der Superreichen, der vor allen Dingen auf Firmenbesitz beruht, ist also zu einem Gutteil ererbt.
  • In den letzten zwanzig Jahren hat darüber hinaus die Zinssenkung der Zentralbanken auf eine quasi zinsfreie Ökonomie, durch eine Senkung der Abzinsung von zukünftigen Erträgen aus Vermögenswerten wie Aktien oder Immobilien Vermögenspreise überall auf der Welt in die Höhe schießen lassen, ohne dass die Ertragskraft der Vermögensobjekte sich geändert hätte. Also ohne, dass die Eigentümer*innen einen Finger gekrümmt haben.

Die Ungleichheit ist um so schlimmer, weil sie nicht auf die materielle Ebene beschränkt bleibt. Große Vermögen bringen Status, Einfluss und Macht. Diese wird häufig missbraucht, um im Eigeninteresse Strukturen zu verfestigen und Besitzstände auszuweiten. Unser Steuersystem gerät in eine Spirale des Wettrüstens mit vermachteten Strukturen. Es ist kaum zu glauben, dass die „cum ex“ und „cum cum“ Betrügereien mit Dividendengeschäften, vor denen schon 1992 gewarnt wurde, den Staat mehr als zwei Jahrzehnte Jahr für Jahr um Milliardensummen an Steuergeldern gebracht haben und dass es erst 2016, also Jahre nach Ausbruch der großen Finanzkrise, gelungen ist, diese Geschäfte endgültig abzustellen.

1.3 Steuersubventionen neutralisieren die Lenkungswirkung der vorhandenen Umweltsteuern

Häufig wird die These vertreten, dass der Markt den ökologischen Umbau kraftvoll voran treiben würde, wenn die Preissignale richtig gesetzt seien. Deshalb seien Umweltsteuern starren Regelungen vorzuziehen und der volkswirtschaftlich günstigste Weg für einen Umbau unserer Wirtschaft. Um so ernüchternder ist die Feststellung, dass unser Steuersystem heute in Summe unterm Strich keinen Einfluss auf ökologisches Verhalten hat. Es werden zwar insgesamt ca. 60 Milliarden Euro pro Jahr Umweltsteuern erhoben. Aber laut Bundesumweltamt wird in etwa gleicher Höhe umweltschädliches Handeln mit Subventionen und Steuerprivilegien befeuert. Tendenz zum schlechteren.

Seit der ökologischen Steuerreform vor gut 20 Jahren wurden die Energie- und Stromsteuersätze nicht mehr erhöht. Dadurch hat sich der Anteil von Umweltsteuern am Gesamtsteueraufkommen inflationsbereinigt Jahr um Jahr deutlich verringert: von einem Höhepunkt von 6,5% nach der letzten Ausbaustufe der ökologischen Steuerreform 2003 auf 4,0% im letzten Jahr. In den letzten 20 Jahren hat man sich stattdessen auf das erneuerbare Energien – Einspeise-Gesetz und den nur schleppend in Gang kommenden europäischen CO2- Zertifikate-Handel konzentriert. Deutschland ist heute mit ca. 4% Anteil der Umweltsteuern am Gesamtsteueraufkommen in Europa eher Schlusslicht und weit weg von dem von der europäischen Kommission im Rahmen der Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“ für 2020 ausgerufenen Ziels von 10%.

Mit dem Klimapaket wird es ab dem kommenden Jahr einen CO2 Preis in den Bereichen Wärme und Verkehr geben, allerdings – mit einem Einstiegs-Preis von 25 Euro pro Tonne – eine Größenordnung niedriger als das, was eigentlich notwendig wäre. Die umweltpolitischen Lenkungseffekte werden darüberhinaus durch eine Erhöhung der Pendlerpauschale und ein Abschmelzen der EEG- Umlage bei den Strompreisen zu einem großen Teil auch noch wieder zurückgenommen. Ressourcen-Abbau sowie die Verschmutzung von Luft, Wasser und Böden werden im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern wie z.B. in Dänemark, in Deutschland nicht besteuert.

1.4. Maschinell hergestellte Produkte zu Lasten der Umwelt sind zu günstig, persönliche Dienstleistungen zu teuer – die Baumolsche Kostenkrankheit

Seit der industriellen Revolution macht die produzierende Wirtschaft nie dagewesene Fortschritte bei der Automatisierung. Materielle Güter können zu immer geringeren Kosten hergestellt werden, obwohl die Löhne stetig steigen. Persönliche Dienstleistungen dagegen lassen sich meist längst nicht in dem gleichen Maße automatisieren. Oft würde das sogar dem Wesen der Dienstleistung selbst widersprechen, etwa bei der Kindererziehung, der Pflege, oder bei der Aufführung eines Konzerts. Der geringe Automatisierungsgrad führt dazu, dass die Kosten für persönliche Dienstleistungen deutlich schneller als die allgemeine Preisentwicklung steigen. Das Auseinanderdriften der Kosten von maschinell hergestellten Produkten und persönlichen Dienstleistungen gilt als eines der empirisch am besten nachgewiesenen sehr langfristigen Trends und wird nach seinem Namensgeber als Baumolsche Kostenkrankheit bezeichnet. (siehe auch Baumol, William (2012) The Cost Desease. Why Computers Get Cheaper and Health Care Doesn’t).

Dieser Trend verändert Konsum- und Lebensgewohnheiten auf der ganzen Welt. Autos mit ihren Abgasen zum Beispiel verstopfen mittlerweile nicht nur die Straßen im Westen, sondern auch die Städte in China und Indien, weil sich auch dort immer mehr Menschen ein Auto leisten können. Gleichzeitig verteuern sich die Kosten im Bildungs-, Pflege-, Gesundheits- oder Kulturbereich. Je mehr Automatisierung, um so massiver die Verschiebung weg von der menschlichen Dienstleistung zum maschinell hergestellten Produkt: immer mehr Autos, Flugreisen, elektronische Gadgets und gleichzeitig überfüllte Schulklassen, rationierte Zuwendung in Arztpraxen und bei der Pflege. Anders gesagt: Wegwerfen und neu kaufen ist wesentlich günstiger als Dinge reparieren zu lassen.

Die bisherige Steuerpolitik verstärkt diesen Trend. Menschliche Arbeit wird besteuert, Umweltbelastung kostet nichts. Bei Bildung, Pflege und Gesundheit macht man sich Sorgen um die steigenden Kosten und spart. Flugreisen, Diesel, Dienstwagen, Pendeln, Stahl, Zement und Chemie werden dagegen steuerlich begünstigt und subventioniert.

2. Steuer-Mythen

Warum tun wir uns so schwer, diese Selbstverständlichkeiten anzupacken und zu ändern? Die Zielvorstellungen, dass wir keine Armut zulassen wollen und dass unser Wirtschaften nicht länger zu Lasten der Umwelt erfolgen darf, wird doch eigentlich durch eine breite Mehrheit in der Bevölkerung unterstützt! Zum Teil liegt das daran, dass wir in Steuerfragen tiefsitzenden Mythen erliegen.

  • Der Eigentums-Mythos: Steuern enteignen
  • Steuern sind leistungs- und wirtschaftsfeindlich, Kapital ist ein scheues Reh
  • Ökosteuern sind eine bürgerliche Träumerei, sie sind unsozial und schaden dem Wirtschaftsstandort.
2.1 Der Eigentums-Mythos: Steuern enteignen

Von „rechts“ wird der Anspruch erhoben, das Einkommen vor Steuern gehöre denen, die es erwirtschaftet haben. Man möchte so wenig wie möglich mit anderen teilen. Von „links“ mit dem gleichen Denkrahmen wird gefordert, dass die Reichen etwas abgeben sollen. Diese Sichtweise beruht auf dem logischen Irrtum, eines natürlichen vor-staatlichen Eigentumsrechts.

Ohne die Institution des Staates, ohne Eigentumsgesetze und deren Durchsetzung mit Hilfe des Gewaltmonopols des Staates gibt es aber kein Eigentum. Ohne Steuern gibt es keinen Staat und damit kein Eigentum. D.h. die Argumentation dreht sich im Kreis. Eigentum gibt es nur nach Steuern. Die Wirtschafts- und Rechtswissenschaften angefangen von Knut Wicksell bis zu Paul Kirchhofs Halbteilungs-Grundsatz unterstellen, dass die Verteilung von Eigentum und Vermögen vor Steuern gerecht sei. Sie argumentieren dann, dass die Steuererhebung selbst Gerechtigkeitsprinzipien wie etwa dem Leistungsfähigkeitsprinzip, dem Äquivalenzprinzip oder der horizontalen und vertikalen Verteilungsgerechtigkeit genügen müssen, statt insgesamt in der institutionellen Ordnung auch die Verteilung der Primäreinkommen in Frage zu stellen und Steuern in Hinblick auf eine gerechte Verteilung von Einkommen und Eigentum nach Steuern zu urteilen. Die Verteilungsergebnisse der aktuellen Märkte nach Steuern sind aber ungerecht und zwar unabhängig davon, welche Definition von Gerechtigkeit man zugrunde legt, Leistungsgerechtigkeit, Chancengleichheit, Gleichverteilung (Herzog, Lisa (2020), Die Erfindung des Marktes).

Ähnlich wie früher bei Herkunft, ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, haben wir auch bei der Eigentumsfrage mit starken unbewussten Einstellungen zu tun, die wir viel stärker durch Reflexion und gesellschaftliche Entscheidungen hinterfragen und weiterentwickeln müssen. Der eigeninteressierte Verteilungskampf von Steuern ist eine Sackgasse. (Siehe auch Murphy, Liam and Nagel, Thomas (2002), The Myth of Ownership: Taxes and Justice)

2.2 Der Mythos, Steuern seien leistungs- und wirtschaftsfeindlich und Kapital ein scheues Reh

Der eigeninteressierte Verteilungskampf wird oft versteckt hinter dem Argument, Steuern seien leistungs- und wirtschaftsfeindlich. Hoffähig wurde es durch eine Arbeit zur optimalen Steuertheorie aus dem Jahr 1971 von James Mirrlees, des späteren Nobelpreisträgers. Sein Argument der Leistungsfeindlichkeit hoher Grenzsteuersätze, also von Steuern auf zusätzlich verdientes Geld, wurde von den amerikanischen Steuerreformern Joseph Pechman und Arthur Laffer mit offenen Armen aufgegriffen und gipfelte in der Hypothese von Arthur Laffer, dass eine Herabsetzung von hohen Steuersätzen die Privatwirtschaft entfesseln, und zu insgesamt mehr Steueraufkommen führen würde. Über den „Trickle Down“ Effekt würden letztlich alle davon profitieren. Das war die Steilvorlage für die drastischen Steuersenkungen unter Ronald Reagan und Margret Thatcher und später auch in Deutschland für die Senkung der Einkommensteuer-Spitzensätze, der Unternehmen- und Kapitaleinkommensteuern sowie der Abschaffung von Vermögensteuern. Das Ergebnis kennen wir: die amerikanische Schulden-Explosion nach Ronald Reagans fehlgeschlagenem Steuersenkungs-Experiment, der weltweite Rückgang von Produktivitätssteigerungen, Selbstbedienungs-Mentalität im Top-Management mit Aktienoptionen und Rückkauf-Programmen, Spekulationen bis zur grossen Finanzkrise, die Ausbreitung von Monopolen. Statt dem Effizienz-Wunder sehen wir einen sich immer deutlicher abzeichnenden ökologischen Kollaps und eine weltweite Zunahme von Ungleichheit.

Auch in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion sind Mirrlees Theorien stark kritisiert worden. Martin Feldstein, ein amerikanischer Ökonom, hat 1995 empirisch nachgewiesen, dass in der Steuerpolitik nicht die Grenzsteuern die entscheidende verhaltensbestimmende Größe sind, verhaltensbestimmend ist vielmehr die Höhe des besteuerbaren Gesamt-Einkommens. Die befürchtete Verhaltensänderung durch Steuern ist also nicht, ob mehr oder weniger gearbeitet oder investiert wird, sondern die Auswirkung auf das Verhalten zum Zwecke der Maximierung des Nachsteuer-Einkommens, z.B. die Suche nach Anlagemöglichkeiten und Investitionen mit Steuerprivilegien oder nach steuerlich subventionierten Bezügen durch den Arbeitgeber etc.

Dieses Verhalten ist aber selbst wieder Gegenstand von staatlicher Regulierung. Die Moral ist, dass der politische Streit um Grenzsteuersätze mehrere Ebenen weg liegt von den eigentlich wichtigen Fragen. Wichtiger ist das Durchschnittseinkommen nach Abzügen und Steuern sowie die Frage der Steuerinzidenz, also die Frage, wer den Steuerbeitrag letztlich wirtschaftlich leistet. Das sind längst nicht immer die, die die Steuer formal bezahlen. Entscheidend ist schließlich das Endergebnis: die Einkommens- und Vermögensverteilung nach Steuern. Und die kennt nur eine Richtung: mehr Ungleichheit.

Auch die Aussage, Kapital sei ein scheues Reh, das bei der kleinsten Störung zu einem anderen Ort auf der Welt läuft, an dem es in Ruhe seinen Geschäften nachgehen kann, stimmt so nicht mehr.

In Bezug auf die internationalen Aspekte der Steuergestaltung: Steuermanipulation durch Verlagerung in Steuersümpfe, Steuerbetrug und Steuerwettbewerb, gibt es Besserung. Nach den hemdsärmeligen Aktionen mit Steuer-CDs und Bloßstellung von Prominenten, gibt es einen Sinneswandel in der deutschen Bevölkerung.

Auch international findet eine Gegenbewegung statt. Durch das Foreign Account Tax Compliance Act (FATCA) Abkommen, das die USA 2010 Ländern wie der Schweiz, Österreich oder Luxemburg aufgezwungen hat, gibt es die Möglichkeit, Einkommen mittels Bankgeheimnis zu verbergen, nicht mehr. Schließlich gibt es auch ein Umdenken in der internationalen Staatengemeinschaft beim ruinösen Steuerwettbewerb nach unten. Die G20 haben das „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS ) Verfahren in Gang gesetzt und die Weichen für viele Besserungen gestellt, z.B. die Einführung einer globalen Mindestbesteuerung für Unternehmen sowie hohe Transparenz durch Länder bezogenes Reporting. Bis zur tatsächlichen Umsetzung wird allerdings noch Zeit vergehen. Bisher hat die deutsche Bundesregierung es im Rahmen ihrer laufenden EU Präsidentschaft nicht für nötig empfunden, etwa das Länder bezogene Reporting auf die europäische Agenda zu setzen.

2.3 Der Mythos, Ökosteuern seien eine bürgerliche Träumerei, unsozial und schädlich für den Wirtschaftsstandort

Umweltsteuern wirken auf verschiedene Sektoren und Einkommensschichten oft sehr unterschiedlich stark. Deshalb fallen sie oft zwischen alle Stühle. Sie haben den Ruf, Chancengleichheit im Wettbewerb auszuhebeln und sie haben nicht nur den Ruf, sozial ungerecht zu sein und die einkommensschwächsten am stärksten zu belasten. Kein Wunder, dass sie anfällig sind für Lobbyismus und anfällig dafür, im politischen Nahkampf aufgerieben zu werden und zu Inkrementalismus und reinen Symbolmaßnahmen zu verkommen.

Das muß nicht so sein. Alle diese Schwierigkeiten lassen sich mit politischem Willen auffangen:

Chancengleichheit im Wettbewerb sollte idealerweise durch eine europäisch koordinierte Einführung inklusive einer europäischen „boarder adjustment tax“ erzielt werden. Wenn das nicht möglich ist, kann man die Industrie-Sektoren im Wandel durch ein Recyclen der Steuereinnahmen im gleichen Sektor in ihrer Transformation unterstützen oder man arbeitet mit einem gestuften Steuersystem, dass schwer reformierbaren Sektoren mehr Zeit für ihren Wandel gibt.

Soziale Härten sollten durch einen systemischen Ansatz, durch ein insgesamt deutlich progressives Steuersystem aufgefangen werden. Nicht jede einzelne Steuer kann jedes Ziel erfüllen, alle Steuern in einem stimmigen Steuersystem insgesamt jedoch schon.

3. Einkommensarmut abschaffen, Bezieher*innen von niedrigen Einkommen entlasten

Der Geist der Hartz 4 Reformen, das Schrödersche Credo, es gäbe kein Recht auf Faulheit, ist blind für die strukturellen und politischen Ursachen von Armut, Arbeitslosigkeit und Abstiegsängsten. Die Verunsicherung durch diese Reformen erstreckt sich auf weit mehr Menschen als die tatsächlich Betroffenen. Die Reformen sind außerdem maßgeblich verantwortlich für das jahrelange Ausbleiben von Real-Lohnsteigerungen sowie die Entstehung eines der größten Niedrig-Lohnsektoren innerhalb der Industriestaaten. Auf die Umbrüche durch Digitalisierung, Globalisierung, den ökologischen Umbau und die aktuelle Corona-Krise brauchen wir eine umfassende gesellschaftliche Antwort. Und wir brauchen bei den existenziellen Fragen ein starkes Garantie-Versprechen für alle: bei Altersversorgung, Krankheit und Pflege, sowie bezahlbaren Mieten und ausreichend Geld für den täglichen Bedarf. Außerdem müssen wir Arbeit attraktiver und lohnender machen. Das Steuer- und Transfer-System muss für Garantie-Versprechen und Arbeitsförderung einen Beitrag leisten, es darf aber nicht das eine gegen das andere ausspielen.

3.1 Stärkung von Garantieversprechen statt universellem bedingungslosem Grundeinkommen

Ein universelles, bedingungsloses Grundeinkommen (UGE, siehe auch Monographie van Parijis 2017) wird von vielen als eine soziale Utopie gesehen: die Befreiung aller Menschen von wirtschaftlichen Zwängen. Jeder soll sich durch die bedingungslose Verfügung über einen bestimmten Geldbetrag angstfrei nach seinem Potenzial entfalten können. Ein UGE wird manchmal auch von streng Marktliberalen und dem „Silicon Valley“ gefordert. Sie wollen jegliche Form von Bedarfsprüfungen und bedarfsgerechtem staatlichem Handeln mit einem Federstrich streichen und versprechen sich neben einem sozialen Minimum für alle, Kosteneinsparungen, Bürokratieabbau und nicht zuletzt Kaufkraftsicherung der Bevölkerung. Es stellen sich neben der Frage der Konsequenzen für die soziale Infrastruktur auch andere wichtige Umsetzungsfragen, etwa nach der Höhe oder dem Geltungsbereich, d.h. ob ein UGE wirklich für alle oder nur für Bundesbürger*innen zur Verfügung stünde. Es ist insgesamt richtig und wichtig, dass in Feldversuchen praktische Erfahrungen gesammelt werden. Allerdings sehe ich unabhängig vom Menschenbild von Befürwortern und Gegnern und unabhängig von Umsetzungsfragen, drei wichtige prinzipielle Gründe, die gegen ein universelles, bedingungsloses Grundeinkommen sprechen:

Das liberale Fairness Argument: Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle ist ungerecht. Niemand darf einen bedingungslosen Anspruch darauf haben, dass andere für einen arbeiten:

[T]hose who are unwilling to work where there is work that needs to be done (I assume that positions and jobs are not scarce or rationed) would have extra leisure stipulated as equal to the index of the least advantaged. So those who surf all day off Malibu must find a way to support themselves and would not be entitled to public funds.

Rawls 1993, 182, footnote 9

Das perfektionistische Argument: Erwerbsarbeit ist in unserer Gesellschaft ein wichtiger Lebensbereich, der Sinn und Identität schafft. Ein gesellschaftlich gefördertes Lebensmodell, dass das ignoriert, führt in eine Sackgasse. Insbesondere für Jugendliche kann die Perspektive auf ein von den Institutionen ermöglichtes, dauerhaftes Leben ohne Erwerbsarbeit keine ernsthafte Option sein.

Das utilitaristische Argument: Ein substanzielles Grundeinkommen für alle ist ökonomisch falsch. Es wirkt inflationär und es verschärft die Knappheit von Arbeit. Angesichts des demographischen Wandels der westlichen Gesellschaften und der relativen Verteuerung von arbeitsintensiven Dienstleistungen gegenüber materiellen Gütern und automatisierten Dienstleistungen brauchen wir in Zukunft mehr Menschen, die arbeiten wollen.

3.2 Auskömmliches Einkommen für alle, die arbeiten wollen: Höherer Grundfreibetrag, negative Einkommensteuer, Mehrwertsteuer-Bonus, Abschaffung des Mittelstandsbauchs

Um so mehr ist es zentral wichtig, dass alle, die arbeiten wollen auch eine Arbeit finden und diese auskömmlich bezahlt wird. Das Steuer- und Sozialsystem muss das unterstützen und nicht erschweren.

Das heiß konkret (siehe auch Bach 2018):

  • der Grundfreibetrag, bis zum dem keine Steuern bezahlt werden, sollte erhöht werden auf einen Betrag jenseits der Armutsgrenze und jenseits der Grundsicherung für Alleinstehende von jetzt 9.408 Euro auf mindestens z.B. die pfändungsfreie Grenze im Zivilrecht von 12.500 Euro im Jahr,
  • Erwerbs-Einkommen unter dem Grundfreibetrag sollten entweder mit einem „earned income tax credit“ /negativen Einkommensteuer, alternativ mit einem Mehrwertsteuer-Bonus-System aufgestockt werden. Das Mehrwertsteuer-Bonus-System hätte den Vorteil, weniger Mitnahmeeffekte durch private Arbeitgeber zu erzeugen und es würde die später noch zu diskutierende Ökologisierung der Mehrwertsteuer politisch und ökonomisch erleichtern. Allerdings wäre es administrativ wesentlich aufwendiger umzusetzen,
  • die Steuersätze im Bereich jenseits des Grundfreibetrags bis zum Knick bei 14.000 Euro (früher Mittelstandsbauch genannt) dürfen nicht länger schneller in die Höhe getrieben werden als bei höheren Einkommen. Die Progression sollte stattdessen linear ab dem Eingangssteuersatz von 14% gleichmässig nach oben ansteigen bis zum Spitzensteuersatz. Bei den heutigen Sätzen würde das Steueraufkommen dadurch um 33 Milliarden Euro reduziert werden.
3.3 Niedriglohnsektor eindämmen: Niedrige Grenzsteuersätze, Absenkung der Minijobschwelle

Es geht aber nicht nur um die absolute Belastung, sondern auch um die Abstellung von Fehlanreizen im Steuer- Abgaben- und Transfersystem.

  • Die Anhebung des Grundfreibetrags und Glättung des Progressions-Knicks hätten den Vorteil, dass Bezieher*innen von monetären staatlichen Transfers, z.B. Arbeitslosengeld II oder Wohngeld, wesentlich einfacher Geld dazu verdienen könnten. Beispielsweise haben Bezieher*innen von Arbeitslosengeld II bisher lediglich einen Freibetrag von 100 Euro für einen Zusatzverdienst. Eine Ausweitung der Arbeitszeit ist für sie oft sehr unattraktiv, weil sie einen Großteil, in Extremfällen mehr als 100% des Zusatzverdiensts als Steuer wieder abführen müssen. Mit der Neuregelung wäre es viel lohnenswerter, Arbeitszeit auszuweiten bzw. in eine höher entlohnte Stellung zu wechseln.
  • Markus Grabka und Kollegen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung schlagen im Rahmen einer von der Bertelsmann-Stiftung finanzierten Studie unter anderem vor, die Minijob-Schwelle auf einen Wert von 250 Euro pro Monat abzusenken. Dies würde einerseits Arbeitnehmer*innen dazu anregen, von einem Minijob in eine Teilzeit- oder Vollzeit-Erwerbstätigkeit zu wechseln; andererseits würde es Anreize für Arbeitgeber*innen setzen, Minijobs in sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten umzuwandeln.

Es ist klar, dass Änderungen im Steuersystem alleine nicht ausreichen, um den Niedriglohnsektor zu verkleinern. Zusätzlich sollte beispielsweise der Mindestlohn weiter angehoben und dessen Einhaltung besser kontrolliert werden. Des Weiteren sollte die Tarifbindung ausgeweitet und Unternehmen dazu bewegt werden, Solo-Selbständige in die Sozial-Versicherungen aufzunehmen.

3.4 Job Garantie für ein soziales oder ökologisches Jahr

Darüber hinaus befürworte ich die schrittweise Einführung eines Arbeitsangebots für alle, die arbeiten wollen, aber in der Privatwirtschaft keine Arbeit finden. Beispielsweise über das Recht auf ein bezahltes soziales oder ökologisches Jahr, das nicht im Wettbewerb mit der Privatwirtschaft steht. Dieses Angebot sollte nicht nur ein zweiter Arbeitsmarkt sein, sondern als Alternative und Sabbatical- Möglichkeit allen offen stehen.

Der „Markt“ für gering bezahlte Tätigkeiten funktioniert bei uns nicht. Es ist ein reiner Käufermarkt nach dem Motto „take it or leave it“. Eine öffentliche Job Garantie mit Mindeststandards bei Bezahlung, Mitspracherechten und Umgang hätte den Vorteil, auch in der Privatwirtschaft einen echten Markt zu kreiieren, in dem die Arbeitssuchenden nicht alles mitmachen müssen und die Freiheit bekämen, nein zu sagen. Vielen könnte Mut gemacht werden, einen Lebensweg einzuschlagen, der ihnen mehr Freude bereitet.

3.5 Garantiesicherungen für Kinder und Erwachsene, die nicht arbeiten können

Für Kinder und Erwachsene, die nicht arbeiten können, sei es aufgrund von Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit, oder Sorge-Arbeit für Angehörige sollte es eine Garantiesicherung geben, die die bisherigen Absicherungen bündelt und Lücken schließt. Die Garantie eines Existenzminimums ist in unserer Gesellschaft keine grundsätzlich kontroverse Frage. Die Kontroversen entspannen sich eher um das wie als um das ob: u.a. Sachleistungen vs Geld, Bedürfnisprüfung vs. Bedarfsprüfung, Arbeitswunsch vs Arbeitsfähigkeit, Existenz-Minimum vs gesellschaftliche Teilhabe, Lohn-Abstandsgebot. Die Garantiesicherung sollte ohne Diskriminierung und ohne Existenzängste ein Leben in Würde und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Menschen, die arbeiten könnten aber nicht wollen, sollten wir durch Weiterbildung und Schaffung von Angeboten zur Arbeitsaufnahme anregen. Die Anzahl sollte sich in Grenzen halten und in keinem Fall maßgeblich die Gestaltung unserer Institutionen bestimmen.

Insgesamt würden diese Umbauten enorme Verbesserungen bringen. Sie würden Einkommensarmut de facto abschaffen und Haushalte, die wenig verdienen, stark entlasten. Das erfordert aber einen hohen zweistelligen oder sogar dreistelligen Milliardenbetrag durch eine stärkere und effizientere Besteuerung der Wohlhabenden.

4. Wohlhabende umfassend und effizient am Steueraufkommen beteiligen

Bei der Frage, wie wohlhabend jemand ist, wie groß die finanziellen Spielräume tatsächlich sind, reicht der Schnappschuss auf einen bestimmten Augenblick im Leben nicht aus. Man sollte das ganze Leben in den Blick nehmen. Viele Leute verschulden sich in jungen Jahren etwa für den Kauf eines Eigenheims, erreichen in ihren 50er den Höhepunkt in ihrem Einkommen und leben im Alter von Erspartem. Immer mehr Menschen wechseln in ihrer Biographie auch zwischen Phasen intensiver Erwerbstätigkeit und Zeiten für Ruhe- , Neuorientierung oder Familie. Die Ausgaben schwanken für fast alle sehr viel weniger als die Einnahmen. Um kritische Einnahmeschwankungen abzufangen, versuchen die meisten Menschen etwas anzusparen. In aller Regel reicht das Angesparte im hohen Alter aber nicht aus, um den gewohnten Lebens-Standard zu halten. Die meisten müssen in dieser Lebensphase den Gürtel enger schnallen. Das gilt um so mehr, als die Ersparnisse durch die Inflation über lange Zeiträume stark an Wert verlieren.

Die Forderung das jährliche Einkommen aus Arbeit und Kapital – sprich Ersparnissen – exakt gleich an den Steuern zu beteiligen, berücksichtigt diesen Lebens-Zyklus Aspekt nicht. Im Gegenteil: Konsumverhalten heute wird privilegiert, gegenüber denjenigen, die eine langfristigere Perspektive einnehmen. Idealerweise sollte der Steuerbeitrag von Einkommen im – Fach-Jargon – „Zeit-invariant“ sein. Die Leistungsfähigkeit sollte im Zusammenhang des gesamten Lebens gesehen werden.

Die Beurteilung der Leistungsfähigkeit sollte darüberhinaus auch unabhängig von der genauen Herkunft des Einkommens sein und von der Frage, ob es sich um realisierte Gewinne oder um Wertsteigerungen handelt. Die Wertsteigerung von vermieteten Immobilien und Grund und Boden etwa wird spätestens nach 10 Jahren gar nicht besteuert, genauso wenig Wert-Steigerungen von Superreichen, die ihr Vermögen in Stiftungen oder Holdings halten und bei späterer Entnahme durch die Steuerverschiebung in die Zukunft den sogenannten Thesaurierungsgewinn einstreichen, vergleichbar dem Vorteil durch ein zinsloses öffentliches Darlehen. (Niedrigst-) Zinsen auf Bankguthaben der „kleinen Frau“ oder des „kleinen Mannes“, dagegen werden sofort und umfassend besteuert.

Eine weitere wichtige Komplikation bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit und der Verfolgung des Ideals des gleichen Steuerbeitrags von Arbeit und Kapital ergibt sich daraus, dass die Besteuerung von klassischer Lohn-Arbeit und die Besteuerung von Unternehmen aufeinander abgestimmt sein sollte: Viele arbeiten als Selbstständige, Freiberufler*innen oder mit anderen zusammengeschlossen in Personengesellschaften. All diese Unternehmen sind im Fach-Jargon keine eigenen einkommensteuerpflichtigen „Steuersubjekte“, sondern „transparent“ für die Besteuerung auf der Privatebene. Im Prinzip sinnvoll, es sollte schließlich keinen Unterschied bei den Steuern machen, ob ich angestellt oder selbstständig arbeite. Das sollte aber dann im Unterschied zu heute auch für die Sozial-Beiträge gelten. Umgehungskonstruktionen wie Scheinselbstständigkeit werden auch deshalb erwogen, weil man meint, Sozial-Beiträge zu sparen.

International ist die Besteuerung von großen Kapitalgesellschaften und der privaten Ebene der Anteilseignerinnen jedoch weitgehend entkoppelt. Kapitalgesellschaften interessieren sich in ihren Standortentscheidungen nur für die Steuern auf Unternehmensebene, die Anteilseignerinnen sind oft nicht einmal bekannt.

Bei Kapitalgesellschaften gibt es in Deutschland einen Zusammenhang zwischen Steuern auf der Unternehmens- und Privatebene. Die Besteuerung erfolgt zwar auf Unternehmens- und der individuellen Ebene getrennt. Allerdings stellen Mechanismen sicher, dass keine Doppelbesteuerung erfolgt: Bis ins Jahr 2000 im Rahmen des sogenannten Anrechnungsverfahrens, das wegen Europarechtswidrigkeit abgelöst wurde. Danach zunächst durch das Halbeinkünfteverfahren und nach der Unternehmensteuer-Reform 2009 durch das Teileinkünfte-Verfahren und die Abgeltungsteuer im Rahmen des dualen Steuersystems.

Will man nun Personengesellschaften Kapitalgesellschaften steuerlich in etwa gleichstellen und sich in den Unternehmensteuer-Sätzen im internationalen Mittelfeld bewegen, um den Standort attraktiv zu halten, landet man schnell bei der Forderung nach einer „flat tax“ für die Einkommensteuer von ca. 25%, dem berühmt, berüchtigten Vorschlag von Paul Kirchhoff.

Knapper gesagt: Im europäischen Kontext und im internationalen Wettbewerb scheint die hohe Mobilität des Kapitals auf der Suche nach attraktiven Standorten gegen eine progressive, gleiche Besteuerung von Arbeit und Kapital zu sprechen.

Wie beurteilen wir nun die Leistungsfähigkeit? Wie gehen wir mit dem uralten Konflikt zwischen der Besteuerung von Arbeit und Kapital um? Wie können wir diesen Zielkonflikt zwischen dem Ideal der progressiven gleichen Besteuerung von Arbeit und Kapital auf der einen Seite und weltweit mobilem Kapital auf der Suche nach Standorten, bei denen sich das Kapital vor einem Steuerbeitrag drücken kann, auflösen? Wie kann es gelingen, das Steuersystem gleichzeitig fairer, effizienter und progressiver zu machen? Und das insgesamt im Umfang eines hohen 2-oder sogar 3 stelligen Milliardenbetrags, der den Rückgang des Steueraufkommens aufgrund der Armutsbekämpfung und der Entlastung von Haushalten mit niedrigen Einkommen in etwa kompensiert (siehe Punkt 3).

Einige Ökonom*innen sehen einen möglichen Befreiungsschlag in einem System-Wechsel weg von der Einkommensteuer hin zu einer progressiven Verbrauchsteuer. Ich vertrete hier den entgegengesetzten Weg mit der These: Unser heutiges Steuersystem ähnelt schon viel zu sehr einer Verbrauchsteuer. Wir brauchen stattdessen eine umfassende progressive Einkommensteuer, die nicht nur Einkommen aus Erwerbsarbeit, sondern auch andere Einkommensarten wie Einnahmen aus Dividenden, Zinsen, Miete und vor allem auch Wertsteigerungen von Vermögen konsequent an Steueraufkommen beteiligt. Die Einkommensteuer sollte darüber hinaus konsequent im Sinne des Gegenseitigkeitsprinzips ausgestaltet werden, des fairen Tauschs von Kosten und Nutzen, des Austauschs von Geben und Nehmen.

Einkommen, denen kein eigener Aufwand gegenübersteht oder dessen Kosten ganz direkt auf die Allgemeinheit abgewälzt werden, sollten einen besonders hohen Steuerbeitrag leisten (Details siehe in den Folgekapiteln), dazu gehören:

  • Wertsteigerungen von Immobilien und insbesondere Grund und Boden
  • Einkommen aus Erbschaften und Schenkungen jenseits einer Freigrenze
  • Überrenditen jenseits der Opportunitätskosten des eingesetzten Kapitals, die oftmals auf ökonomische Renten und Monopol-Gewinne hindeuten
  • In Steuersümpfe verlagerte Einkommen von internationalen Unternehmen
  • Banken sollten künftig auch Mehrwertsteuer-pflichtig werden
  • DIe Privilegierung von Kapitalgewinnen gegenüber Arbeit sollte ein Ende haben und die duale Besteuerung von Arbeit und Kapital ersetzt werden durch eine einheitliche, effiziente, konsistente progressive, zinsbereinigte, Gewinn- und Einkommensteuer
  • Ebenso sollten einseitige Privilegien der Wohlhabenden, die dem Prinzip eines progressiven Steuersystems zuwiderlaufen, abgeschafft werden und zwar bei der Einkommensteuer und beim Ausscheren aus den Sozial-Systemen.

Schließlich sollte man mit aller Konsequenz „white collar crimes“ und Steuerhinterziehung verfolgen, wie beispielsweise bei den cum-ex Machenschaften. Spätestens, wenn die handelnden Akteure sich nicht mehr in ihren weißen Hemden und Anzügen und hinter Firmeninteressen verstecken können und persönlich mit Konsequenzen und hohen Gefängnisstrafen rechnen müssen, wird das schnell eine abschreckende Wirkung entfalten.

4.1. Eine progressive Verbrauchsteuer ist der falsche Weg

Die Überlegung, die Steuerbasis auf den Verbrauch zu konzentrieren, ob als flat-tax im Rahmen einer hohen Mehrwertsteuer oder auch als progressive Verbrauchsteuer, ist ein Irrweg.

Thomas Hobbes hat 1651 in Kapitel 30 seines Leviathan gefordert, dass der Verbrauch, nicht die Schaffung von Werten, besteuert werden soll. In den 70er Jahren gab es in England (James Meade 1978- The Structure and Reform of Direct Taxation) und den USA (David Bradford 1978 – Blueprints for Basic Tax Reform) angestoßen von dem britischen, keynsianischen Ökonomen Nikolas Kaldor 1955 , „The expenditure tax“ eine bis heute andauernde Debatte darüber, einen Systemwechsel im Steuersystem vorzunehmen. Man wollte von der Einkommensteuer, also sowohl von der Besteuerung von Arbeit als auch von Kapital gleich insgesamt wegkommen und zu einer einheitlichen umfassenden progressiven Verbrauchsteuer wechseln.

Das Steuerkonzept (Werner 2007) von Götz Werner, des Gründers der dm-Drogerie-Markt- Kette steht in gewisser Weise in dieser Denktradition mit den drei Kernideen: universelles Grundeinkommen, 100% Mehrwertsteuer also einer extrem hohen Verbrauchsteuer, komplette Abschaffung der Einkommensteuer.

Gegen das universelle, bedingungslose Grundeinkommen hatte ich mich schon geäußert. Eine einheitliche hohe Mehrwertsteuer ist darüber hinaus auch nicht progressiv, sondern eine regressiv wirkende „flat tax“. Die Verteilungswirkung wäre vermutlich erstaunlich nah an dem berühmt, berüchtigten 25% flat tax Konzept für die Einkommensteuer mit erhöhtem Grundfreibetrag von Paul Kirchhoff, aus dem Bundestagswahlkampf 2005. Der wesentliche Unterschied ist in gewisser Weise nur das „Framing“, Grundeinkommen spricht viele emotional stärker an als Grundfreibetrag, und 100% Mehrwertsteuer für alle klingt „irgendwie“ gerechter als „nur“ 25% Einkommensteuer für die Wohlhabenden.

Die Hürden für einen System-Wechsel in eine echte progressive Verbrauchsteuer wären jedoch gewaltig. So denkt emotional kaum einer und selbst wenn alle begeistert wären, würde die Übergangsphase extrem lange dauern. Darüber hinaus ist eine Diversifizierung von Steuern organischer und resilienter in unserer komplexen Welt. Die Einkommensteuer wirkt beispielsweise im Gegensatz zu einer Verbrauchsteuer antizyklisch und wirkt damit makroökonomisch als Stabilisierungsanker. Eine völlig unbesteuerte Kapitalakkumulation (zumindest bis zum Erbfall), wirkt extrem bedrohlich, auch wenn Ausgaben für ein Luxusleben mit einem sehr hohen Steuerbeitrag verbunden wären. Ein hohes Vermögen bedeutet schließlich nicht nur die Möglichkeit, viel auszugeben zu können. Es verleiht auch den materiellen Vorteil, für sein Lebensunterhalt nicht arbeiten zu müssen und das Vermögen dennoch vermehren zu können. Nicht zuletzt bringt es erhebliche immaterielle Privilegien für einige wenige, wie Macht, Einfluss und Status. Ein Steuersystem sollte diese Entwicklung nicht noch zusätzlich befördern.

4.2 Besteuerung der Bodenrente: Hauptgrund für die Ungleichheit in Deutschland

Der Wert von Immobilien wird maßgeblich durch die hohen und weiter steigenden Bodenpreise bestimmt. Der Anstieg ist langfristig gesehen kein Ergebnis von Angebotsknappheit (zu wenig Wohnraum- und Gewerbeflächen), sondern das Ergebnis eines spekulativen Nachfrageüberhangs. Immobilien sind stark begehrte Anlageobjekte, weil es (a) eine fundamentale Knappheit gibt: den unvermehrbaren und unverzichtbaren Grund und Boden und (b) Niedrigzinsen die spekulative Nachfrage anheizen. Die Privatisierung dieser Bodenrente ist ein Rückschritt ins Mittelalter, in den Feudalismus, als die Landvögte den Zehnten einkassierten. Sie ist ein fundamentales Marktversagen, ungerecht und ökonomisch ineffizient, weil die Bodenrente komplett ohne eigenes Zutun entsteht, allein durch das Eigentum am Boden begründet ist, ohne Wertschöpfung anfällt und Horten und Spekulation anheizt.

Der mit Abstand größte Anteil des Vermögens der Privathaushalte – über 50% – besteht im Besitz von Immobilien und Grund- Boden, insgesamt laut der oben genannten Studie von Moritz Schularick 10 Billionen Euro. Nur 2% dieser Summe entsprechen in etwa dem gesamten jährlichen Aufkommen der Einkommensteuer. Es gibt keinen größeren Hebel, die Ungleichheit in Deutschland zu senken und keinen effizienteren und gerechteren Weg Steuern zu erheben, als diese Bodenrente zu besteuern. Hier können wir viel von ostasiatischen Ländern wie Singapur, Hongkong, Südkorea zum Teil auch China lernen, die ihr steuerliches Hauptaugenmerk auf diese Themen richten und dafür Einkommen und Verbrauch wesentlich geringer besteuern als in der westlichen Welt. Etliche Nobelpreisträger unterschiedlicher politischer Couleur haben ebenso daraufhin gewiesen. Milton Friedman nannte die Bodenwertsteuer einst „the least bad tax“. (siehe auch hier und hier)

Unser Steuersystem sollte deshalb

  • die Grundsteuer in den Bundesländern zu einer Bodenwertsteuer umbauen und schrittweise deutlich über das heutige Niveau anheben,
  • dafür sorgen, dass Veräußerungsgewinne auch nach 10 Jahren einen Steuerbeitrag leisten müssen,
  • dafür sorgen, dass eine (s) Widmungsabgabe/ Planwert-Ausgleich für Bauplanungs-bedingte Wertsteigerungen eingeführt wird, spätestens, wenn der Grund und Boden veräußert wird,
  • die Grunderwerbsteuer für Einzel-Erwerbe stark abgesenken, die bisher preistreibend wirkt und Veränderungswünsche behindert und sich auf die großen oft spekulativen Blockgeschäfte konzentrieren und
  • hierfür auch Umgehungsmöglichkeiten durch sogenannte „share-deals“ abschaffen.
4.3. Perspektiv-Wechsel in der Schenkungs- und Erbschaftsteuer: Empfängersteuer

Derzeit werden von den jährlich verschenkten oder vererbten Vermögenswerten im Umfang von 200 bis 300 Milliarden Euro nur etwa 5-10 Milliarden Euro an Erbschaftsteuer bezahlt. Nach einer Studie des DIW ist die Belastung darüber hinaus stark regressiv. Je mehr man bekommt, um so geringer die anteilige Steuer. Für Schenkungen in Höhe von 100-200.000 Euro fallen im Durchschnitt knapp 15% Steuern an, für hohe Beträge jenseits von 20 Millionen sinkt die Steuer auf 1,8%. Die Wohlhabenden vermeiden ihre Steuern durch Privilegien wie Freistellungen für Unternehmens-Übertragungen, Freibeträge für Wohnimmobilien, Steuerbefreiungen von Spenden, Stiftungen sowie der Möglichkeit, mit wiederholten Schenkungen persönliche Freibeträge alle zehn Jahre erneut zu nutzen.

Dabei gibt es einen wichtigen moralischen Grund, Schenkungen und Erbschaften sogar stärker zu besteuern als Einkommen aus eigener Arbeit. Bereits John Stuart Mill, ein britischer Politiker, Philosoph und Ökonom schrieb im 19. Jahrhundert:

I see nothing objectionable in fixing a limit to what any one may acquire by the mere favour of others, without any exercise of his faculties, and in requiring that if he desires any further accession of fortune, he shall work for it.

Principles of Political Economy, with some of their Applications to Social Philosophy, John Stuart Mills 1848

Ein weiteres Argument für deutlich höhere Erbschaftsteuern ist der breit getragene Grundwert der Chancengleichheit. Ungleichheit aufgrund von unterschiedlichen Leistungen werden akzeptiert, nicht jedoch Ungleichheit nur aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten „Kaste“. Das gilt um so mehr, als die großen Vermögen noch stärker als die Einkommen in den Händen von nur einigen wenigen konzentriert sind und ein großes Vermögen verbunden ist mit politischer Macht, Einfluss und Status.

Gegner der Schenkungs- und Erbschaftsteuer nehmen oft die Perspektive des oder der Verschenkenden oder Vererbenden ein, nicht die der Empfänger*in. Vererbt wird an Menschen, die sich um sie im Alter gekümmert haben oder verschenken ist eine private Freude, in die sich niemand einmischen soll, oder die Familie wird als Teil der eigenen Identität gesehen. Besteuerung der „Familien-Dynastie“ wird als Doppelbesteuerung von Vermögen empfunden, dass aus bereits besteuertem Einkommen erzielt wurde. Schließlich wird auch ganz instrumentell wirtschaftlich argumentiert. Erbschafts-Steuern gefährdeten die Existenz des Unternehmens, die deutsche Mittelstandskultur, wenn hohe Erbschafts-Steuern Investitionen verhinderten oder den flächendeckenden Verkauf an ausländische „Heuschrecken“ erzwingen würden.

Mir erscheint aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive das Argument von Chancengleichheit der Empfänger*innen das weitaus überzeugendere, jedoch unter Berücksichtigung der hohen Bedeutung der Interessen des vererbten Unternehmens und des Erhalts des Mittelstandskultur.

Chancengleichheit bedeutet, dass es einen relativ großen Unterschied macht, ob an die oder den Lebenspartner vererbt wird oder an die Folge-Generation. Chancengleichheit von Empfängern bedeutet ebenfalls, dass die Gesamt-Summe an empfangenem Erbe oder Schenkungen im Laufe des Lebens in den Mittelpunkt rücken sollte, statt nach allen paar Jahren die Uhr zurückzustellen oder Schenkungen von verschiedenen Personen separat zu sehen. Es ist auch verteilungspolitisch wünschenswerter, wenn das Erbschafts-und Schenkungs-Steuerrecht eine breitere Verteilung begünstigt.


Die Erbschafts- und Schenkungssteuer sollte umgebaut werden

  • zu einer lebenslangen Empfänger*innen-Steuer. Mehrfachnutzung von Freibeträgen und 10 Jahresfristen für Schenkungen sollten abgeschafft werden.
  • Freibetrags-Grenzen sollten auf dem heutigen Niveau belassen werden, insbesondere das mit der Lebenspartner*in bewohnte Eigenheim nicht belastet werden. Jenseits der Freigrenzen sollte die Steuer jedoch höher und progressiver sein als die Einkommensteuer
  • Steuern auf Immobilienvermögen sollten durch eine Reform der Niessbrauch- Rechts Regeln jenseits von Freibetragsgrenzen nicht mehr umgangen werden können sowie Privilegien bei Vermietung abgeschafft werden.
  • Es sollten keine Umgehungen der Erbschafts- und Schenkungssteuer durch Stiftungen zugelassen werden. In diesem Sinne sollten auch Spenden mit einem Steuerbeitrag verbunden werden.
  • die Vererbung von Betriebsvermögen schließlich, der wesentliche Bestandteil der Vermögen von Superreichen, sollte künftig nicht weiter weitgehend steuerbefreit erfolgen dürfen. Stattdessen sollte man alternative Wege öffnen, um den Zielkonflikt zwischen Wohlergehen der vererbten Betriebe und höherem Beitrag aus Erbschaftsteuern insbesondere für kleine und mittlere Betriebe aufzulösen. Z.B. die Steuer über längere Zeiträume streckbar machen, so dass die Erb*innen sie aus den laufenden Gewinnen abzahlen können. Im Falle von wirtschaftlichen Notständen sollte man Nachrangregelungen einführen. Schließlich sollte man auch Mitarbeiter*innen-Beteiligungen steuerrechtlich umfassend erleichtern und der steuerlichen Behandlung von Fremdeigentümer*innen mindestens gleichstellen. Dann könnten durch Bonus- und Gehaltsumwandlungen in Firmenanteile Mittel für die Bezahlung der Erbschaftsteuer freiwerden und gleichzeitig die Bindung und Identifikation mit dem Unternehmen erhöht werden. Erb*innen von großen Unternehmen dagegen haben einen guten Zugang zum Kapitalmarkt. Es ist nicht einzusehen, weshalb sie diesen nicht nutzen können, um einen Teil ihres Erbes an die Allgemeinheit geben zu können.
4.4 Globale Mindest-Unternehmensteuer (statt) Digitalsteuer

Die internationale Steuervermeidung durch Gewinnverlagerung von globalen Konzernen wie Amazon und Google sowie großen Mittelständlern in Steuersümpfe führt nicht nur zu erheblichen Steuerausfällen, einem internationalen Steuerwettlauf nach unten, einer Belastungsverschiebung zur regressiv wirkenden Umsatzsteuer und einer unfairen Umverteilung zu Gunsten von Aktionären, sondern verschafft diesen Unternehmen auch einen unfairen Wettbewerbsvorteil gegenüber kleinen Unternehmen, die in Deutschland ordentlich ihren Steuerbeitrag leisten.

Gabriel Zucman und Emmanuel Saez, Mitglieder von ICRICT (Independent Commission for the Reform of International Corporate Taxation) haben vorgeschlagen diese Entwicklung durch die Einführung einer globalen Mindest-Steuer zu stoppen. Dies könnte auch unilateral geschehen. Im Kern sieht der Vorschlag vor, den globalen Konzern-Gewinn nach einer Formel anteilig auf die Länder aufzuteilen, in denen das Unternehmen aktiv ist. Diese Formel bildet die reale wirtschaftliche Aktivität der Firmen wie Umsatz oder Anzahl von Mitarbeiter*innen in den jeweiligen Ländern ab. Sie beendet die Steuergestaltung am grünen Tisch durch Transfer-Preise, Verlagerung von immateriellen Vermögenswerten zu Briefkasten-Firmen wie Google das im großen Stil macht, oder steuerbegünstigten Krediten zwischen Tochtergesellschaften.

Diese Lösung würde das Problem der Steuervermeidung deutlich konsequenter, gerechter und umfassender lösen als die in die gleiche Richtung zielenden am häufigst diskutierten Alternativen: die Digitalsteuer, oder eine von den USA favorisierte Marktsteuer. Die Digitalsteuer ist schwer abgrenzbar. Schließlich erfahren die meisten Branchen einen digitalen Strukturwandel. Die Digitalsteuer adressiert nicht das Kernproblem der Unterbesteuerung von globalen Konzernen. Globale Steuern schließlich, die sich an der Umsatzverteilung orientieren und die man deshalb auch Marktsteuer nennt, begünstigen auf unfaire Weise Länder mit chronischen Importüberschüssen wie die USA selbst. Kein Wunder, dass die USA dieses Modell bevorzugen.

4.5 Steuerprivilegien für Wohlhabende im Einkommensteuer-Recht abschaffen

Die meisten Steuervergünstigungen dienen anderen Zwecken als der Verwirklichung des Leistungsfähigkeitsprinzips. Zum Beispiel sollen Steuer-Begünstigungen bei der Altersvorsorge zum langfristigen Sparen anregen und die finanzielle Unabhängigkeit im Alter fördern, Baukindergeld fördert den Eigenheimbau für junge Familien, die Abzugsfähigkeit von Spenden soll Engagement in der Zivilgesellschaft fördern, die Pendler-Pauschale soll die Aufnahme von Arbeit fern vom Wohnort erleichtern, das Ehegatten-Splitting soll Familien stärken, etc.

Die andere Seite der Medaille ist, dass Steuerprivilegien gleichzeitig die nicht begünstigte Gruppe benachteiligen: Die steuerliche Subvention für Eigenheimbesitzer bedeutet, dass Mieter entsprechend mehr Steuern zahlen müssen und das, obwohl sie in der Regel ohnehin weniger verdienen. Zusätzlich profitieren Wohlhabende durch die progressive Einkommensteuer mehr von Steuerfreibeträgen als weniger gut verdienende Haushalte. Der steuerliche Effekt einer Eheschließung ist für Wohlhabende höher als für prekäre Haushalte.

Es ist ein gesellschaftlicher Aushandlungs-Prozess, ob die jeweiligen Steuervergünstigungen und Umverteilungen zwischen den Begünstigten und Benachteiligten legitim sein sollen oder nicht, auch unter ökologischen Gesichtspunkten. Kritisch ist es jedoch in jedem Fall, wenn Steuerprivilegien zusätzlich das zentrale Prinzip der Leistungsgerechtigkeit kompromittieren. Insofern sollten alle Steuerprivilegien auf den Prüfstand: unter Berücksichtigung von Härtefall- und Übergangsregelungen sollten die illegitimen abgeschafft werden und die legitimen für alle gleich bemessen werden. Im folgenden Maßnahmenpaket ergäbe sich insgesamt in der Summe eine Zunahme des Steueraufkommens um deutlich über 20 Mrd Euro (Zahlen siehe Bach 2018).

  • Einschränkung des Ehegatten-Splittings auf ein „Real-Splitting“ – das Ehegattensplitting auf den Grundfreibetrag beschränken, keine Sondervergünstigungen für reiche Partner*innen (6 Mrd Euro).
  • Gleiche Kindergrundsicherung für alle statt dualem System aus Kindergeld und Kinderfreibetrag. Der Kinderfreibetrag bedeutet bei hohen Einkommen erheblich mehr Geld als das Kindergeld. Extra-Subventionen für Kinder aus „höherem Haus“ sollte es aber nicht geben (z.B. Konzept der Grünen).
  • Reform der Besteuerung von Dienstwagen und anderen Sachbezügen. Die Dienstwagen Regelung darf nicht länger privates Fahren von Dienstwagen gegenüber der Nutzung von privaten PKWs privilegieren. Betriebliche Neuzulassungen machen über 60% aller Neuzulassungen aus. Die pauschale 1% Besteuerung und häufige Übernahme der Betriebskosten fördert den Trend zu immer größeren Fahrzeugen und deren übermäßiger Nutzung, mit entsprechenden verheerenden Folgen für die Umwelt (3 Mrd Euro).
  • Abschaffung bzw. Begrenzung der Pendlerpauschale für eine Übergangszeit nach einem Umzug (5,5 Mrd Euro).
  • Abschaffung der Steuerabzugsfähigkeit für haushaltsnahe Dienst- und Handwerksleistungen. Der Bundesrechnungshof und mehrere Studien diagnostizieren erhebliche Mitnahme-Effekte und nur eine geringe Reduktion der Schwarzarbeit (6 Mrd Euro). Das heisst die Ausgaben wären auch ohne steuerliche Abzugsfähigkeit in gleicher Höhe getätigt worden und die steuerliche Subvention hat keine zusätzlichen Anreize gesetzt, die Schwarzarbeit zu reduzieren.
  • Effektivere Besteuerung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung – Abschreibungsvergünstigungen z.B. für Wohnungsmodernisierung führen häufig nur zu Mitnahme-Effekten bei wohlhabenden Privatinvestor*innen (2 Mrd Euro). Investitionen zur Renditeoptimierung durch höhere Mieteinnahmen beschleunigen häufig die Gentrifizierung und werden zu allem Überfluss steuerlich subventioniert.
4.6 Solidarische Bürgerversicherung

Unser Sozialsystem ist heute im Wesentlichen ein Versicherungs-System für Arbeitnehmer*innen bis zu einer Einkommensgrenze von ca. 60.000- 80.000 Euro pro Jahr. Einkommen jenseits dieser Grenze werden von Sozialbeiträgen freigestellt. In der Krankenversicherung können die Gutverdiener darüberhinaus auch vollständig aus dem Solidar-System ausscheren und in die private Krankenversicherung wechseln. Selbständige und auch Beamte sind insgesamt außen vor. Zukunftsfähig ist dieses System nicht. Höhere Lebenserwartung, Fortschritte in der Medizin und die demographische Entwicklung, in der immer weniger junge Menschen immer mehr ältere versorgen werden, erfordern fast zwangsläufig, dass das Sozialsystem insbesondere die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung auf eine bereitere Basis gestellt wird. Gut verdienende Arbeitnehmer*innen, Beamt*innen und auch die Einkommen aus selbständiger Arbeit, Lohn oder Zins müssen sich alle solidarisch im Rahmen von Bürger*innen -Versicherungen beteiligen.

Dies ist die langfristige Vision. Die Umsetzung kann hier nur schrittweise erfolgen. Die Grünen haben hierzu über die letzten Jahre detaillierte Vorschläge entwickelt:

4.7. Alternative für das duale System der Einkommensteuer: eine einheitliche zinsbereinigte Einkommens- und Gewinnsteuer für Private und Unternehmen, die auch die Sozial-Systeme integriert.

Zurück zu einem zentralen Ziel: Einkommen aus Kapital und Arbeit gleich zu besteuern. Thomas Picketty, ein französischer Ökonom hat die These populär gemacht, dass Kapitaleinkommen in Zukunft stärker ansteigen wird als Einkommen aus Arbeit (Picketty 2014). Unabhängig davon, ob sich diese These bewahrheitet, wird es angesichts des seit Jahrzehnten anhaltenden Trends zu mehr Ungleichheit höchste Zeit, die Benachteiligung von Einkommen aus Arbeit gegenüber Kapital zu beenden.

Häufig wird deshalb gefordert, das 2009 eingeführte duale Besteuerungssystem mit der pauschalen Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge wieder abzuschaffen und Unternehmensteuern und Kapitalerträge direkt wieder in die Einkommensteuer-Systematik einzugliedern. Vermutlich macht das so direkt aber wenig Sinn:

  • Bei den gegenwärtigen Einkommensteuer-Sätzen würde sich weder vom Steueraufkommen noch verteilungspolitisch viel ändern gegenüber dem Status quo. Bei Unternehmenseinkünften muss man die Vorbelastung durch Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer mit berücksichtigen, so dass bei den heutigen Steuersätzen in etwa das gleiche herauskäme wie früher. Bei den Zinseinkünften ist durch die Niedrigzins-Phase die Steuerbasis so klein geworden, dass Sie ohnehin keine allzu grosse Bedeutung hat (siehe zu dieser Einschätzung Stefan Bach vom DIW- in Bach 2018).
  • Das duale Besteuerungssystem wurde überhaupt erst entwickelt, weil das alte Anrechnungsverfahren vom europäischen Gerichtshof als rechtlich nicht vereinbar mit dem Binnenmarkt eingestuft wurde (siehe hier).

Sinn machen würde es aber, die Frage der gleichen Besteuerung von Arbeit und Kapital in einem größeren Kontext zu sehen: in Zusammenhang mit den Sozial-Systemen. Arbeit wird nicht nur durch die höheren Steuersätze, sondern zusätzlich durch die Sozialabgaben deutlich stärker belastet als Kapital.

Darüber hinaus entstehen etliche Reibungen aus dem schlechten Zusammenspiel zwischen Steuersystem und Sozialabgaben System, zwischen selbständiger und abhängig-beschäftigter Arbeit. Kurz es geht bei der Frage der gleichen Besteuerung von Kapital und Arbeit nicht nur um die Behebung eines ungerechten, sondern auch um die Vereinfachung eines sehr ineffizienten Zustands.

Diese Problemvielfalt könnte gelöst werden durch eine einheitliche progressive zinsbereinigte Einkommens- und Gewinnsteuer, die auch die Sozialabgaben einschließt.

Auf Unternehmensebene werden in diesem Konzept kalkulatorische Eigenkapitalzinsen von der Steuerbemessungsgrundlage abgezogen („allowance for corporate equity“) und bei natürlichen Personen werden Fremdkapitalzinsen sowie Dividenden und Veräußerungsgewinne in Höhe einer gesetzlichen Standardverzinsung steuerlich freigestellt (rate-of-return allowance). Gleichzeitig entrichten alle Einkommensformen, ob aus Arbeit, (Miet-)Zins- oder Dividenden oder aus Veräußerungsgewinnen den gleichen Beitrag an die Sozial-Systeme.

Aus privater Sicht hat das System den Vorteil, dass es zeitinvariant ist. Das heißt Zinsen, die lediglich den Wertverlust durch Inflation kompensieren oder die sogenannten Opportunitätskosten werden nicht besteuert.

Aus Firmensicht wäre dieses System entscheidungsneutral bei der Wahl der geeigneten Rechtsform, der besten Finanzierung sowie der Frage in was investiert werden soll. Steuerlichen Abschreibungsregeln und Eigenkapital würden genauso behandelt werden wie Fremdkapital, und würde damit die steuerliche Privilegierung von Verschuldung, sowie die Fehlanreize durch Abschreibungsregeln beenden und insgesamt Investitionen und Kapitalversorgung von Unternehmen verbessern. Die gegenüber heute deutlich verbesserte Behandlung von Eigenkapital macht zusätzlich den Standort attraktiver.

Abhängige und selbstständige Arbeit werden exakt gleich behandelt. Die Gleichbehandlung macht Steueroptimierung von kleinen und mittelständischen Unternehmen sinnlos. Es würde nichts mehr bringen, Spesenrechnungen auf Firmen zu verschieben oder zu überlegen, ob die Eigentümer*in sich Gewinn besser als Gehalt auszahlt oder über Ausschüttungen der Firma. Die Frage der Fremdvergleichbarkeit von Geschäftsführerverträgen und die Frage der Befreiung von der Sozialversicherungspflicht wären beendet. Die Besteuerung von Kapital fokussiert auf die Überrenditen, die zum Teil ökonomisch leistungslose Renten und Monopolgewinne sind, statt auf die Erträge, die zur Deckung der Kapitalkosten notwendig sind.

Kapitalerträge tragen zu den Sozial-Systemen bei und entlasten dadurch den Faktor Arbeit.

Norwegen, Belgien und Kroatien haben nach 2000 begonnen, ihre Steuersysteme in diese Richtung zu entwickeln. Der deutsche Sachverständigenrat hat 2005 in Vorbereitung der Unternehmensteuer-Reform 2009 dafür plädiert, dieses Ziel anzusteuern. Seine Vorschläge wurden allerdings nicht weiterverfolgt. James Mirrlees hat in seinem Review für eine Überarbeitung des gesamten englischen Steuersystems dieses Konzept in den Mittelpunkt seiner Empfehlung gesetzt. Wir sollten diesen Vorschlag unbedingt auch bei uns wieder aufgreifen.

4.8 Vermögens-Abgabe statt Vermögensteuer

Eine Vermögensteuer passt nicht in die Logik dieses Konzepts. Erst die Gewinne um den risikofreien Zins bereinigen, um sie nachher per Vermögensteuer nachzubesteuern. Anders verhält es sich jedoch mit einer einmaligen Vermögens-Abgabe. Sollte der Druck auf die Aufnahmen von Staats- Schulden überhandnehmen (siehe auch hier) und die Zinszahlungen aus dem Ruder laufen, sollte das der Weg der Wahl sein. Wohlergehen für alle und ein intaktes Ökosystem sind wichtiger als die Frage, ob die Wohlhabenden noch wohlhabender sein könnten. Es geht nicht per se darum, irgendjemand etwas weg zu nehmen, sondern es geht darum, dass die vorhandenen Ressourcen am wichtigsten für die Bekämpfung von Armut und die Abwendung des Ökokollaps benötigt werden, selbst dann, wenn der Kuchen insgesamt etwas kleiner wird.

4.9. Gewerbesteuer ersetzen durch ein kommunales Zuschlagssystem zur Einkommens- und Körperschaftsteuer

Quasi als Nebenschauplatz sollte man die Gewerbesteuer abschaffen und durch ein kommunales Zuschlagssystem zur Einkommens- und Körperschaftsteuer ersetzen.

Die Gewerbesteuer hat in der heutigen Form inakzeptable Schwächen. Beispielsweise führen sogenannte Hinzurechnungen dazu, dass Unternehmen, die in die roten Zahlen rutschen, noch zusätzlich durch Gewerbe-Steuerforderungen belastet werden, weil die Gewerbesteuer historisch bedingt nicht nur auf den Gewinn schaut, sondern ein Gewerbe als prinzipiell besteuerbares, werthaltiges Objekt ansieht. Es ist auch nicht einzusehen, dass Vermieter Gewerbesteuer befreit sind bzw. Wohnungs-Gesellschaften das Recht auf eine erweiterte Gewerbesteuer-Kürzung haben. Aus kommunaler Sicht kommen dazu die extremen Schwankungen durch Konjunkturzyklen und häufige Abhängigkeit von einigen wenigen Großunternehmen.

4.10 Mehrwertsteuer für Banken statt Finanztransaktionsteuer

Es ist nicht einzusehen, warum der Bankensektor von der Mehrwertsteuer ausgenommen ist.

Im Nachgang der großen Finanzkrise 2009 wurde intensiv über Reformen im Banken-Sektor nachgedacht, auch darüber wie man den Sektor an den Rettungskosten beteiligen könnte. Häufig wird die Einführung einer Finanz-Transaktions-Steuer (FTT) gefordert. Einige Ökonom*innen befürchten jedoch, dass so eine Bruttosteuer lediglich an Kleinanleger weitergegeben und die strukturelle Schieflage im Sektor, insbesondere Größe („too big to fail“) und die Vernetzung nicht beeinflussen würde. Die Abschreckung von bestimmten Transaktionen könnte man überdies durch eine direkte Besteuerung oder Regulierung wirksamer erreichen.

Stattdessen wurde vom IMF und auch von der Europäischen Kommission die Einführung einer Mehrwertsteuer für den Banken-Sektor vorgeschlagen : z.B. als eine Financial-Activity Tax (FAT).

Der Banken-Sektor ist auch durch die Ausnahmeregelung zur Mehrwertsteuer so groß geworden. Unter anderem, weil es einen Anreiz gibt, alles im eigenen Haus zu beziehen, weil es beim Fremdbezug keine Möglichkeit gibt, Vorsteuern geltend zu machen. Die Mehrwertsteuer, effektiv eine Steuer auf die Summe aus Gewinn und Gehältern, könnte darüberhinaus so ausgestaltet werden, dass sie vor allen Dingen Überrenditen und Renten besteuert, in dem sie beispielsweise für die Bemessungsgrundlage nur hohe Vergütungen enthielte und beim Gewinn die normalen Kapitalrenditen ausnimmt.

5. Umweltsteuern: Besteuerung von Ressourcenverbrauch sowie Preise, die die ökologischen Folgen transparent machen

Johan Rockström, Direktor des Klimaforschungsinstituts in Potsdam beschreibt die weltweite Umweltzerstörung entlang der Fehlentwicklung von 9 lebenswichtigen planetaren Prozessen, die unsere Erde dramatisch in Richtung eines ökologischen Kollaps treiben.

  • drei große schnell wirkende geothermische Prozesse: Klimawandel, Übersäuerung der Ozeane durch Treibhausgase, Ozonzunahme in der Stratosphäre,
  • vier langsam wirkende biophysikalische Prozesse, auf die die Resilienz unserer Umwelt aufbaut: Verlust der Artenvielfalt, Verlust von Süßwasservorräten, Verlust von unberührtem Land, Nährstoff-Überlastung von Gewässern durch Stickstoff und Phosphor und schließlich
  • die beiden mensch-gemachten Bedrohungen: durch die chemische Belastung der Umwelt mit künstlich hergestellten Giften wie Schwermetall-Verbindungen, radioaktivem Material, hormonaktives Plastik, giftige Batterien und Technikschrott sowie die Luftverschmutzung durch Aerosol- oder Feinstaub-Belastung durch z.B- Schwefel und Stickstoff -Oxide, die bei der Verbrennung von fossilen Energieträgern wie Diesel oder Benzin entstehen.

Um der fortschreitenden Umweltzerstörung Einhalt gebieten zu können, müssen wir von einer linearen Wirtschaft, die Ressourcen ausbeutet und den nach dem industriellen Metabolismus entstandenen Müll in die Umwelt ablädt, umstellen auf eine Fossil-freie Kreislaufwirtschaft.

Hierzu muss die Steuerpolitik einen wichtigen Beitrag leisten. Die Preise müssen die ökologische und soziale Wahrheit sagen: Kosten dürfen weder verschleiert noch Dritten, der Gesellschaft oder künftigen Generationen aufgebürdet werden, sondern müssen transparent den Verursacher*innen zugeordnet werden. Anders gesagt, externe Kosten müssen internalisiert werden, im Gegenzug muss der ökologische Umbau und soziales Engagement begünstigt werden, d.h. insbesondere:

  • Wir brauchen einen umfassenden ansteigenden CO2-Preis, als Leitinstrument für den Klimaschutz,
  • Wir müssen ökologisch schädliche Subventionen und Steuervergünstigungen abbauen und die eingesparten Mittel zur Förderung von grünen, nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten einsetzen, die sich z.B. an der EU Taxonomie orientieren.
  • Wir brauchen eine ökologische Mehrwertsteuer-Reform.
  • Darüber hinaus sollten spezifische, zielgenaue Steuern in den Wirtschafts-Sektoren mit den schlimmsten Umweltauswirkungen die Transformation in eine Kreislaufwirtschaft beschleunigen, allen voran in den Sektoren Verkehr und Landwirtschaft und Ernährung. Wir sollten darüber hinaus bei der Entwicklung von neuen Sektoren darauf achten, dass von vorneherein darauf geachtet wird, sie möglichst energieeffizient zu gestalten. Bitcoin oder universelles Streaming etwa sind eine Energieverschwendung ohnegleichen.
5.1 Ein umfassender CO2-Preis als Leitinstrument für den Klimaschutz

Ein umfassender Preis CO2 Preis bedeutet, dass in allen Wirtschaftssektoren, allen Verbrauchergruppen und allen Ländern möglichst bald ein einheitlicher 3-stelliger ansteigender CO2 Preis etabliert ist, am besten durch eine kombinierte Mengen- und Preisteuerung. (https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Ministerium/Veroeffentlichung-Wissenschaftlicher-Beirat/gutachten-energiepreise-effiziente-klimapolitik.html)

Davon sind wir weit entfernt: sowohl im europäischen Emissionshandel als auch im nationalen Emissionshandel für Brennstoffemissionen in den Sektoren Wärme und Verkehr, der im Rahmen des Klimapakets für das kommende Jahr geplant ist. Ebenso ist auch eine umfassende Energiesteuer-Reform überfällig, die den historisch entstandenen Wildwuchs unterschiedlicher Steuern und Abgaben auf verschiedene Formen des Energieverbrauch beendet und umbaut in Richtung eines einheitlichen Preis für jede ausgestoßene Tonne CO2. Um schließlich die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu erhalten und Carbon Leakage zu vermeiden, kommt man bei höheren CO2 Preisen zumindest zeitweise nicht um einen Grenzausgleich herum. Globales Ziel muss es sein auf dem Wege gemeinsamer Verpflichtungen in jedem Land der Welt CO2 Abgaben zu etablieren. Im Rahmen eines globalen Lastenausgleichs könnten beispielsweise zinsbegünstigte Kredite an Länder des globalen Südens gewährt werden im Gegenzug zu Selbst-Verpflichtungen dieser Länder zu einem Kohle-Ausstieg und einer Einführung eines lokalen CO2 Preises.

Reform des europäischen Emissionshandels
Das sogenannte cap and trade Verfahren für den europäischen Emissionshandel leidet seit seiner Einführung 2009 daran, dass das „cap“ also die Begrenzung der Mengen politisch motiviert viel zu hoch angesetzt und damit die Preise viel zu niedrig sind und der Zertifikate-Handel einer Kasino-Wette auf das Durchhaltevermögen der Politik glich. Das hat dazu geführt, dass seit dem Beschluss zum Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland trotz CO2 Preis 10 neue Kohlekraftwerke ans Netz gegangen sind und wertvolle Zeit für die Energiewende verschwendet wurde. Mittlerweile ist es gelungen dieses Problem durch diverse „Tricks „ etwas in den Griff zu bekommen: „Backloading“: Nicht alle Zertifikate wurden versteigert und seit 2019 werden sie in einer sogenannten Markt-Stabilitäts-Reserve zurückgehalten. Das reicht aber bei weitem nicht.

Deutschland sollte sich dafür einsetzen, einen ansteigenden CO2-Mindestpreis einzuführen. Darüber hinaus sollte man künftig stetig deutlich weniger neue Zertifikate versteigern, schon gar nicht kostenlos, und die Möglichkeit erweitern, überschüssige Zertifikate endgültig zu löschen. Schließlich sollte der Handel perspektivisch alle Sektoren abdecken und nicht nur wie bisher grob die Hälfte der Emissionen. (Siehe auch hier). Insbesondere die Sektoren Verkehr, Wärme und Landwirtschaft sind bisher ausgeklammert.

Der geplante nationale Emissionshandel für Brennstoffemissionen springt zu kurz

2018 wurde eine europäische Direktive beschlossen, die einen europäischen Lastenausgleich für die Treibhausgas-Reduktions-Ziele der Wirtschaftssektoren vorschreibt, die nicht durch den europäischen Emissionshandel erfasst werden. Zusätzlich hat der Druck der Fridays for Future Bewegung in 2019 zu dem überraschenden Beschluss der großen Koalition führt, auch in den Sektoren Verkehr und Wärme einen CO2 Preis zu etablieren. Allerdings ist das beschlossene Paket stark kritikwürdig. Der Preispfad ist zu niedrig und es fehlt eine Mengensteuerung, obwohl man sich den administrativen Aufwand einer Mengensteuerung aufhalst. Offenbar geht Ideologie vor: man führt eine als Zertifikatehandel verkleidete umständliche Steuer ein, weil man partout formal keine Steuererhöhung haben will (siehe hier oder hier).

Umfassende Energiesteuer-Reform

In Deutschland gibt es einen historisch entstandenen Wildwuchs unterschiedlicher Steuern und Abgaben auf verschiedene Formen des Energieverbrauchs, der sich zunehmend als Bremsklotz für eine effektive Klimapolitik auswirkt. Strom wird mit knapp 180 Euro pro CO2 Tonne fast eine Größenordnung stärker besteuert als leichtes Heizöl. Darüber hinaus gibt es zahllose Ausnahmeregeln und Subventionen, die die Abkehr von fossilen Energieträgern behindern. Elektromobilität ist im Betrieb verhältnismäßig teurer als der Verbrennungsmotor. Eine Energiesteuer-Reform sollte alle Energieträger in einem einheitlichen System nach CO2 Ausstoß besteuern. Das würde eine bessere Sektor-Kopplung möglich machen. Das ist für die Schaffung von Anreizen zur Speicherung von stark fluktuierenden erneuerbaren Energien im Rahmen von sogenannten „Power To X“ Umwandlungen mehr oder weniger zwingend. (Vorschläge, z.B.: (https://www.agora-energiewende.de/veroeffentlichungen/eine-neuordnung-der-abgaben-und-umlagen-auf-strom-waerme-verkehr/.)

5.3. Ökologische Mehrwertsteuer-Reform

Gemessen an den erzielten Steuereinnahmen ist die Mehrwertsteuer die wichtigste Steuer im Deutschland und in den meisten anderen OECD-Ländern. Seit ihrer Einführung in Frankreich im Jahr 1954 wurde sie von vielen Ländern weltweit übernommen, einschliesslich aller OECD-Länder ausser den USA.

Im Gegensatz zu den direkten Steuern wie etwa der Lohn- und Einkommensteuer, bei der man den Steuerbeitrag an die Leistungsfähigkeit anpassen kann, wirkt die indirekte Mehrwertsteuer für alle gleich. Sie belastet damit Menschen mit prekären Einkommen relativ stärker als diejenigen mit höheren Einkommen. Eine weitere pauschale Erhöhung der Mehrwertsteuer würde die Progression des Steuersystems insgesamt gefährden. Deshalb sollte die Mehrwertsteuer insgesamt auf keinen Fall erhöht werden.

Generell ist eine Ermäßigung der Sätze eine ineffiziente Art Verteilungsgerechtigkeit herzustellen, weil die Wohlhabenden gleichermaßen davon profitieren, sogar eher mehr, weil sie typischerweise mehr Geld ausgeben. Man kann mit der gleichen Steuersumme einen deutlich höheren Umverteilungseffekt erzielen, wenn man die Struktur der direkten Steuern verändert, nicht die der indirekten.

Viel zu kurz in der öffentlichen Diskussion und der nationalen und europäischen Mehrwertsteuer-Gesetzgebung kommt bisher der ökologische Lenkungsaspekt. Mehrwertsteuer-Differenzierungen sollten in Zukunft vor allen Dingen dann eingesetzt werden, wenn sie einen sehr klaren ökologischen Lenkungsaspekt haben: Beispiele dafür sind:

  • Aufhebung des ermäßigten Mehrwertsteuer-Satzes für konventionell produziertes Fleisch, Fisch, Eier und milchbasierte Produkte, sowie tiefgefrorene Fertiggerichte, die mit erheblichen Umweltbelastungen und Energieaufwand entlang der Wertschöpfungs-Kette verbunden sind ; ebenso Aufhebung der derzeitige Differenzierung zwischen In-Haus- (19%) und Außer-Haus-Umsätzen (7%) in der Gastronomie, die Fast Food Produktion begünstigt (siehe hier). Eine Ernährungswende muss allerdings breit angelegt sein und sich nur nachgelagert auf höhere Preise stützen, ansonsten werden sich die Menschen nicht überzeugen lassen.
  • Absenkung der Mehrwertsteuer auf 5% im öffentlichen Nah- und Fernverkehr, dem niedrigsten mit gegenwärtigem Europarecht vereinbarten Satz, idealerweise jedoch auf 0%.
5.3 Steuern für die Verkehrswende: – Energiewende im Verkehr, – Mobilitätswende, – Verkehr vermeiden, verlagern und vernetzen, – flächendeckendes Car-Sharing

Die Verkehrswende muss auf ein Ziel ausgerichtet sein: auf den Abschied von fossilem Öl und Gas bis zum Jahr 2050. Doch die Verkehrswende ist mehr als eine Energiewende im Verkehr, mehr als das, was mitunter Antriebswende genannt wird – nach der Devise: weg vom Verbrennungsmotor, hin zur Elektromobilität. Sie muss begleitet sein von einer Mobilitätswende, in der wir unser Verkehrssystem und Verkehrsverhalten ändern und Verkehr vermeiden, verlagern und vernetzen sowie Alternativen zum Paradigma des privaten Autos entwickeln (siehe hierzu auch eine Studie der Agora Verkehrwende.

Im vom privaten PKW dominierten Verkehr ist eine ungeheure Verschwendung eingebaut. Autos werden fast immer geparkt und nehmen damit öffentlichen Raum ein – und wenn sie fahren, sitzt meist nur eine Person darin. Dafür hat ein unvorstellbarer Flächenfraß stattgefunden. In den Städten werden oft bis zur Hälfte der kostbaren Flächen Strassen und Parkplätzen geopfert. Durch flächendeckendes Car-Sharing würden wir mit einem Bruchteil der Fahrzeuge auf einem Bruchteil der Flächen auskommen.

Preise sagen hier alles andere als die ökologische Wahrheit: Bahnfahren und der öffentliche Nahverkehr sind viel zu teuer, Autofahren mit privaten PKWs und Fliegen viel zu günstig. Wir brauchen bei der Finanzierung der Verkehrsmittel, insbesondere bei Bahn und Auto einen Systemwechsel:

Systemwechsel bei der Finanzierung: Maut statt Steuern für die Strasse, Steuern statt Tickets für die Schiene

Bisher wird das Autofahren steuerfinanziert, das Bahnfahren Nutzer-finanziert. Das sollte sich umdrehen.

  • Die Fixkosten des Bahnfahrens und des Güterschienenverkehrs sollten vollständig steuerfinanziert werden, Ticketpreise und Trassen-Preise lediglich die Grenzkosten decken. Aus Sicht von vielen Ökonom*innen wäre das selbst ohne den Umwelt-Aspekt die am meisten wohlstandsfördernde Finanzierungslösung für ein natürliches Monopol.
  • Für die Straßennutzung dagegen, die durch die Steuerfinanzierung massiv übernutzt wird, sollten für den Privat- und Güterverkehr flächendeckende Mautlösungen eingeführt werden, wie das auch schon in Vorschlägen der Daehre-Kommission; Bodewig-Kommission (2013) der Bundesregierung vorgezeichnet wird. Die Maut sollte nach Vorschlägen von FÖS abhängig von der Fahrleistung erhoben werden und in ihrer Höhe den von dem jeweiligen Fahrzeug verursachten Kosten für Dritte entsprechen, beispielsweise durch Treibhausgase, Stickoxide, Lärm, Staus, Unfälle, Nutzung des öffentlichen Raums oder Störung des Ökosystems. Sie sollte nach Ort und Zeit differenzieren, um Verkehr effizient lenken zu können. Sie sollte wirtschaftlich ausgelegt sein und verlässlichen Datenschutz gewährleisten. Und sie sollte die spezielle Lage im ländlichen Raum berücksichtigen. Erst wenn es dort aureichend Angebote für den öffentlichen Verkehr gibt, können Preise einen Umstieg bewirken.

Streichung aller umweltschädlichen Subventionen

Der Status quo wird zu allem Überfluss mit gegenwärtig knapp 30 Milliarden Euro Subventionen zementiert. Je zur Hälfte werden Vielfahrerei und Vielfliegerei gefördert. Hier:

  • durch die steuerliche Anrechnung der Entfernungspauschale (5,1 Milliarden Euro), der pauschalen Besteuerung von privat genutzten Dienstwagen (3,1 Milliarden Euro) sowie dem Dieselprivileg, der Energiesteuer-Vergünstigung von Diesel (7,4 Milliarden)
  • durch die Energiesteuer-Befreiung von Kerosin (7,1 Milliarden Euro) sowie der Mehrwertsteuer-Befreiung von internationalen Flügen (4,8 Milliarden Euro) – die seit 2011 eingeführte Flugverkehrsteuer reduziert mit einem Aufkommen von ca. 1 Milliarde Euro pro Jahr das steuerliche Flugprivileg nur unwesentlich.

All diese Verkehrs-Subventionen sollten vollständig gestrichen werden.

Steuerliche Anreize für einen Paradigmenwechsel: vom privaten PKW zum Car-Sharing:

  • Einführung einer KFZ- Zulassungssteuer für Erstzulassung nach dem Vorbild etlicher Nachbarländern unter anderem in Norwegen und
  • einer Ausweitung des 2017 eingeführten Carsharing-Gesetz, das das Parken von Carsharing -PKWs massiv privilegiert.

Steuerliche Anreize für die Antriebswende

  • Eine Anpassung der (Öko-) Stromsteuern nach unten im Sinne einer verzerrungsfreien Sektor-Kopplung,
  • eine Spreizung der KFZ-Steuer im Sinne einer Bonus Malus Regelung bei Neuwagenkäufen, die den Antriebswechsel und die Nutzung von weniger klimaschädlichen Autos fördert,
  • Einführung von steuerlichen Anreizen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der Anschaffung von elektrisch betriebenen Dienstfahrzeugen und Ausbau der seit 1. Januar 2019 geltenden Neuregelung.
  • eine laufende Erhöhungen der Sprit-Preise, die an die Entwicklung des Verbraucherpreisindex gekoppelt werden um der laufenden Abwertung durch Inflation entgegenzuwirken.
5.5 Steuern für die Ernährungs-Wende

Unsere Landwirtschaft und Ernährungsgewohnheiten sind geplagt von 3 massiven Problemen:

  • die Landwirtschaft ist neben der Energieerzeugung der Hauptverantwortliche für die Zerstörung unserer Umwelt. 5 planetare Stoffprozesse sind aus dem Ruder gelaufen: die Klimagas-Entstehung vor allen Dingen in der industriellen Tierhaltung, das Artensterben durch Zerstörung von Lebensräumen und ausufernder Biozid-Nutzung, Nitrat- und Phosphor Verseuchung von Gewässern, Flüssen und Meeren, der Frischwasserverbrauch und die überbordende Landnutzung.
  • Das ist um so schmerzlicher, als in der gesamten Wertschöpfungskette von der Erzeugung bis zum Verzehr ungeheure Mengen von Verschwendung und Abfall entstehen.
  • Schließlich ernähren wir uns immer schlechter – Übergewicht und chronische Krankheiten wie Herzkreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebs werden maßgeblich unseren Ernährungsgewohnheiten zugeschrieben.

Idealerweise sollten wir uns anders ernähren: mit deutlich reduziertem Anteil an tierischen und stark prozessierten Nahrungsmitteln. In den Worten von Gunhild Stordalen der Gründerin und Präsidenten der EAT Foundation: „eat plants, eat real, enough no waste“. Die Produkte sollten aus biologischem Anbau stammen, regional, saisonal mit kurzen Wegen zwischen Erzeuger*Innen und Verbraucher*innen, z.B. organisiert in SolaWis, auch um die Verschwendung entlang der Wertschöpfungskette drastisch zu reduzieren. Im Anbau sollten die Böden besser geschont werden durch Nutzung von Direktsaat und sparsamer bearbeitet werden durch Präzisionsbewässerung und Düngung. Am besten sollte die Anbaumethoden auf ökologischen Landbau umgestellt werden. Und bei der Düngung sollten wir den Kreislauf schließen. In diversen norwegischen Städten etwa sind Toiletten verpflichtend, die den Urin, der fast alle Nährstoffe enthält, separat sammelt und die Rückführung in die Landwirtschaft erleichtert (hier).

Unser Steuersystem fördert all diese Veränderungen im Ernährungs-System nicht. Im Gegenteil es zementiert den Status quo auch hier mit knapp 30 Milliarden Subventionen : gut 20 Milliarden durch den pauschal reduzierten Mehrwertsteuer-Satz für Nahrungsmittel, davon stuft das Bundesumweltsamt gut 5 Milliarden, die Mehrwertsteuer-Ermäßigungen für tierische Produkte als direkt umweltschädliche Subvention ein. Dazu kommen europäische Subventionen die zum größten Teil blind nach landwirtschaftlich genutzter Fläche vergeben werden.

Wir sollten die Ernährungs-System Wende durch ein anderes Steuersystem fördern und die

  • die rein nach Gießkannen-Prinzip geltende flächendeckende Mehrwertsteuer-Ermäßigung ersetzen durch ein oben beschriebenes ökologisch differenziertes System
  • die flächenbezogene europäischen Subventionen baldmöglichst ersetzen durch Förderung nur noch nach ökologischen Kriterien
  • die Erzeugung von schädlichen Klimagasen auch in der Landwirtschaft entweder durch Steuern, oder eine Aufnahme in einen nationalen und perspektivisch europäischen Zertifikate-Handel bepreisen
  • die Nutzung von künstlichen Düngern bzw. die Nitrat- und Phosphor-Belastung besteuern, sowie
  • die Nutzung von Bioziden, Hormonen und Antibiotika
  • schließlich sollten wir analog zu Tabak und Alkohol auch für die Verwendung von Zucker und gesättigten Fetten hohe Verbrauchsteuern einführen.

6. Steuerliche Entlastung von Arbeit – Stärkung von Dienstleistungen und Vorbereitung auf den demographischen Wandel

Manche befürchten, dass im Zuge der weiteren Automatisierung und Digitalisierung, weit mehr Arbeitsplätze wegfallen als neue entstehen und fordern deshalb eine deutliche Absenkung von Arbeitszeiten und ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle. Ich vertrete hier die gegenteilige These. Unsere Arbeitskraft ist jenseits aller technischen Erfindungen und planetarer Grenzen letztlich die ultimative Wachstumsgrenze unserer Wirtschaft. Die Inanspruchnahme von Arbeit von mehr als einer Person (inklusive einem selbst) sei es direkt in Form einer Dienstleistung oder indirekt in Form von Arbeit, die für die Herstellung von Produkten benötigt wird, ist rein logisch und deshalb prinzipiell ein Wunsch, der nicht für alle gleichzeitig erfüllbar ist. Auch dann nicht, wenn der materielle Überfluss bei uns allen beliebig hoch ist (hier). Diese langfristige Wachstums-Grenze macht sich auch heute schon bemerkbar. Persönliches Dienstpersonal etwa, früher auch in den Mittelschichten üblich, findet man heute nur noch bei Superreichen. Die Kosten für Dienstleistungen, die ihrem Wesen nach auf menschliche Interaktion ausgerichtet sind und allein schon deshalb nicht automatisiert werden sollten, zum Beispiel im Bereich Pflege und Gesundheit, in Kindergärten und Schulen, oder Kunst und Kultur, steigen seit Jahrzehnten schneller als die allgemeine Preisentwicklung. (Baumol 2012). Diese Spreizung wird sich im Zuge der demographischen Entwicklung noch einmal deutlich verschärfen. Schon bald werden nur noch halb so viele Menschen ihre erste Arbeit aufnehmen, im Vergleich zu denen, die sich aus dem Erwerbsleben zurückziehen. Immer weniger werden dann immer mehr Menschen versorgen.

Unser Steuer- und Beitrags-System ist darauf schlecht vorbereitet. Arbeit wird bei uns heute stärker belastet als fast überall sonst in der Welt. Die Sozial-Beiträge drohen von 40% auf 50% hochzuschnellen und belasten dann den Faktor Arbeit noch viel mehr als heute. Sie behindern damit in einem unguten Teufelskreis zusätzlich den strukturellen Umbau unserer Wirtschaft weg vom Hauptfokus international gehandelter Produkte hin zu einer Dienstleistungs-Orientierung, die den Bedürfnissen einer älter werdenden Gesellschaft viel besser entgegenkommt (Studie des Sachverständigenrats).

Unser Sozial-und Beitrags-System muss deshalb reformiert werden. Die Sozialbeiträge dürfen nicht weiter steigen und müssen im Gegenteil gesenkt werden, insbesondere bei den Gering-verdiener*innen:

  • Durch eine solidarischere breitere Verteilung, den Einbezug aller Arbeitenden in eine Bürger*innen-Versicherung und den Einbezug aller Produktionsfaktoren in die Sozialkassen nämlich Kapitalerträge und Bodenrente (siehe Kapitel 4).
  • durch eine Zuzahlung in die Sozialkassen, insbesondere aus Steuern auf Ressourcenverbrauch und
  • langfristig durch Erweiterung des Arbeitsangebots beispielsweise durch steuerliche Erleichterungen, falls beide Haushaltsmitglieder arbeiten möchten, wenn keine Kinder zu Hause sind oder die Kinder selbstständig sind, oder durch Abschaffung der Zwangspensionierung und Zwangsverrentung und durch Zuwanderung.

7. Fazit

Was bleibt nach diesem Ritt durchs komplette Steuersystem?

Reformen von einzelnen Steuern reichen nicht aus, um Antworten zu geben auf Ökokollaps, zunehmende Ungleichheit, demographischen Wandel oder Standortwettbewerb in Zeiten globaler, mobiler Finanzmärkte. Wir brauchen einen systemischen Umbau unseres Steuersystems. Wir sollten alles „umkrempeln“ und ein faires, progressives und ökologisches Steuer- und Sozial-System etablieren.

  1. Fair und effizient: Einkommen dessen Kosten auf die Allgemeinheit abgewälzt werden, sollten im Sinne des Gegenseitigkeits-Prinzips einen besonders hohen Beitrag für die Allgemeinheit leisten. Es ist absolut inakzeptabel, dass Einkommen aus dem Besitz von Grund und Boden, Erbschaften, ökonomische Renten, Monopol-Gewinne und in Steuersümpfe verschobene Konzern-Gewinne sowie von der Mehrwertsteuer befreite Banken kaum zum Steueraufkommen beitragen. Die duale Besteuerung von Kapital und Arbeit sollten wir ersetzen durch eine einheitliche progressive zinsbereinigte Gewinn- und Einkommensteuer, die auch das Sozialsystem umfasst.
  2. Progressiv und sozial: Es kann nicht sein, dass die Einkommens-Schwächsten in Form von hohen Verbrauchssteuern und der Mehrwertsteuer in unserem heutigen Flat-Tax System gemessen am Einkommen genauso viel Steuern bezahlen müssen wie die Wohlhabenden. Es kann auch nicht sein, dass die Reichsten nichts zum Sozial-System beitragen. Wir brauchen solidarische Bürgerversicherungen, die alle Einkommen gleich welcher Herkunft ins Sozialsystem einbeziehen. Einseitige Einkommensteuer-Privilegien für die Gut-Verdiener*innen sollten wir abschaffen. Umgekehrt sollten wir mit einem höheren Grundfreibetrag, schwächer ansteigender Progression, einer Aufstockung von geringen Einkommen und einer Stärkung unserer Garantie-Systeme Einkommens-Armut abschaffen und soziale Teilhabe für alle ermöglichen.
  3. Ökologisch und nachhaltig: die enorme steuerliche Belastung von Arbeit sollte ein Ende haben und Steuern müssen die ökologische Wahrheit sagen. Es kann nicht sein, dass Umweltsteuern durch umweltschädliche Subventionen in gleicher Höhe ausgehebelt werden.
    Zentral ist die Einführung eines umfassenden, ausreichend hohen und ansteigenden CO2 Preises, eine ökologische Mehrwertsteuer-Reform sowie Sektor-bezogene Lenkungssteuern für die Branchen mit den schwerwiegendsten Umweltschädigungen: allen voran im Verkehr sowie in der Landwirtschaft und Ernährung. Ökologische Steueraufkommen sollten schließlich zur Senkung der Sozialbeiträge genutzt werden. Wir müssen die Steuerbasis von Arbeit auf Ressourcen-Verbrauch verlagern.

Wir können nicht alles auf einen Schlag reformieren. Es reicht aber auch nicht aus, die Reformen nur für einzelne Steuern umzusetzen. Statt um die Höhe des Steueraufkommens, sollte sich die politische Debatte viel stärker auf die Zielvorstellungen und die Gestaltung des Gesamtsystems fokussieren. Sie sollte den Weg dahin in Blöcke aufgliedern, die die Zielkonflikte zwischen Effizienz, Progressivität und ökologischer Lenkungswirkung in etwa aufkommensneutral ausbalancieren und mit Übergangs- und Härteregeln abfedern. Solche Blöcke könnten sein:

  1. Abschaffung der Einkommensarmut:
    Ein entscheidender Schritt zur Abschaffung von Einkommensarmut wäre, wenn jeder oberhalb der Einkommensgrenze zur Armutsgefährdung von über 1000 Euro im Monat bleibt. Das könnten wir erreichen durch eine Anhebung des Grundfreibetrags in der Einkommensteuer, die Abschmelzung des Niedriglohnsektors u.a. durch Herabsetzung der Minijobschwelle, die Aufstockung von geringen Einkommen durch die Einführung einer negativen Einkommensteuer oder eines Mehrsteuer-Bonus und schließlich eine Stärkung der Grundsicherung. Aufkommensneutral und zugleich effizient und fair wäre das, wenn man gleichzeitig alle Einkommensteuer-Privilegien für Wohlhabende abschafft inkl. der 10 jährigen Spekulationsfrist bei Immobilienverkäufen und der zahllosen Ausnahmeregeln im Erbschaftsteuer-Recht.
  2. Bezahlbares Wohnen und Abbau der Vermögensungleichheit:
    Vermögensungleichheit und Mietenwahnsinn werden maßgeblich versursacht durch die rein private Vereinnahmung von Erträgen von Grund und Boden. Ein grosser Schritt hin zu bezahlbarem Wohnen und einer gerechteren Vermögensverteilung würde durch einen Umbau quer über die föderalen Strukturn von Kommunal- und Landes- und Bundessteuern erreicht werden: Auf kommunaler Ebene sollte die Grundsteuer aufkommensneutral als Bodenwertsteuer eingeführt und schrittweise angehoben werden, gleichzeitig auf Bundesebene sichergestellt werden, dass die Bodenwertsteuer nicht auf die Mieter umlegbar ist. Auf Landesebene sollte die Grunderwerbsteuer für Einzelverkäufe deutlich abgesenkt werden, sie verschärft die Wohnungskrise, weil sie die Preise nach oben treibt und verhindert, dass sich die Menschen wohnlich verändern. Auf Bundesebene sollte schließlich zusätzlich zur Abschaffung der 10 jährigen Spekulationsfrist bei Immobilienverkäufen eine Planwertabgabe eingeführt werden, die Nutznießer von Bodenwert-Steigerungen aufgrund von Bauplanungsänderungen am Steueraufkommen beteiligt, spätestens bei einem Verkauf.
  3. CO2 Preis und Umbau in eine fossilfreie Kreislaufwirtschaft
    Mit den vorgenannten Sozialreformen, sollte dann um so konsequenter das Ziel eines umfassenden ansteigenden CO2-Preis, als Leitinstrument für den Klimaschutz umgesetzt werden. Alle Sektoren müssen erfasst werden auch die Landwirtschaft, alle umweltschädlichen Subventionen müssen abgeschafft werden, der CO2 Preis der verschiedenen Energieträger muss einheitlicher werden. International müssen wir mit oberster Priorität einen globalen Austieg aus der Kohle durchsetzten.
  4. Mobilitätswende:
    Ein CO2 Preis reicht nicht. Wir brauchen in den Sektoren mit den schlimmste Auswirkungen auf die Umwelt – allen voran dem Verkehr – zusätzliche Lenkungssteuern. Eine Mobilitätswende, in der wir Verkehr vermeiden, vernetzen und verlagern wäre erheblich einfacher zu erreichen, wenn wir die Finanzierung von Strasse und Schiene tauschen: statt umsonst Strassen benutzen zu können und Fahrkarten für den öffentlichen Verkehr kaufen zu müssen, drehen wir die Finanzierung um. Die fixen Kosten für öffentliche Verkehrsmitteln sollten über Steuermittel gedeckt werden, die Strassennutzung dagegen über Mautgebühren nur von denjenigen, die sie nutzen. Allerdings kann dieser Tausch nur da mit aller Konsequenz erfolgen, wo ein guter Zugang zu öffentlichem Verkehr gegeben ist.
  5. Steuerbasis von Arbeit verlagern auf Ressourcenverbrauch und Kapitaleinkommen
    Der ökologische Umbau wird nur gelingen, wenn wir unsere Sozialsysteme und unser Steuersystem zusammenführen und dabei die Steuerbasis von Arbeit verlagern auf Ressourcenverbrauch und Kapitaleinkommen, und das in einer Art und Weise, die fair und effizient ist und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts stärkt: Dafür sind drei Reformen entscheidend:
  • die Verpflichtung, zusätzliche Steueraufkommen aus Kapitalerträgen und aus ökologischen Steuern zur Absenkung der Belastung des Faktors Arbeit zu verwenden, insbesondere zur Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge.
  • die Einführung von solidarischen Bürgerversicherungen, die münden in
  • die Einführung einer insgesamt einheitlichen zinsbereinigten Einkommens- und Gewinnsteuer, die auch das Sozialsystem umfasst.

Liebe Leser*innen: Statt einem Steuersystem, dass die prekären Haushalte genauso besteuert wie die Wohlhabenden, statt einem Steuersystem, dass Einkommen privatisiert und die Kosten sozialisiert, statt ökologischer Blindheit, lasst uns alles umkrempeln und ein faires, progressives und ökologisches Steuersystem aufbauen.

Schönen Gruß aus Berlin

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