Springbrunnen statt Schwarze Null

Bild von Hans Braxmeier auf Pixabay

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Die Schwarze Null wird außerhalb von Deutschland fast überall auf der Welt kritisiert. Warum halten wir daran fest? Ein Sprichwort sagt, man braucht eine Theorie um eine Theorie zu ersetzen: Der Springbrunnen als neues Leitmotiv.

Geld ist knapp, diese Erfahrung macht jede und jeder einzelne im täglichen Leben. Das gleiche gilt für unsere Gemeinschaftskasse: den Staatshaushalt. Und wehe, wenn ein Staat sich nicht an diese Einsicht hält und einfach die Druckerpresse anwirft. Dann werden schnell uralte Ängste aufgerührt: vor dem beinahe Bankrott des Staates, vor Hyperinflation in der Weimarer Republik oder vor der Entwertung aller Staatsanleihen nach Hitlers Kriegswirtschaft. Nie wieder hieß es in Deutschland.

Und „nie wieder“ wurde tief in die Institutionen zementiert und auch in die Europäische Union getragen: eine politisch unabhängige Zentralbank, die ausschließlich der Inflationsbekämpfung verpflichtet ist, eine grundgesetzlich verankerte Schulden-Bremse oder der Maastricht Vertrag mit Höchstgrenzen für die Neu- und Gesamtverschuldung. Um es zuzuspitzen: Wir sind bei der Beurteilung von öffentlichen Schulden erstens von der Inflations_Hypothese geleitet: „damit unser Geld seinen Wert behält, ist die beste Staatsschuld gar keine Schuld“


Dieser Grundglaube hat zweitens einen ähnlich gesinnten Verbündeten: das Ideal vom schlanken Staat. Die intellektuelle Rückendeckung kommt aus der neoklassischen Wirtschaftswissenschaft mit der Verdrängungs-Hypothese: Der Markt, kann’s besser und Staatsschulden sind abzulehnen, weil sie den Markt verdrängen und zwar auf zweierlei Weise:

  • Reales Verdrängen: man kann jeden Euro nur einmal ausgeben: entweder tut das der Staat oder die Privatwirtschaft. Wenn der Staat sich verschuldet, muss er irgendwann die Steuern erhöhen, d.h. rationale Akteur*innen werden das Geld dafür sparen und nicht ausgeben. Arbeitsplätze, die durch staatliche Programme entstehen, gehen dem privaten Sektor durch Rückgang der Kaufkraft verloren.  Ricardische’s Äquivalenzprinzip heißt diese These im Jargon oder anders gesagt, es wird bestritten, daß der Keynsianische Multiplikator auf Dauer größer als Null ist. Umgekehrt gilt aus Sicht der Marktliberalen: Einsparungen bei den staatlichen Ausgaben signalisieren künftig niedrigere Steuern und – so die Erwartung- stimulieren damit Investitionen und Konsum. 
  • Finanzielles Verdrängen: Eine höhere Verschuldung erhöht Inflationsgefahren und das Risiko einer Staats-Insolvenz und führt damit zu höheren Zinsen. Die marktliberale Austeritäts-Politik senkt umgekehrt die Zinsen und ermöglicht dadurch einen Anstieg der zinsempfindlichen privaten Investitionen.

Schließlich verursacht drittens schon allein das Wort „Schulden“ ein schlechtes Gefühl. Der Name ist gleichlautend mit der moralischen Schuld. Und private Überschuldung oder gar Insolvenz ist ein Schicksal, das jeder meiden möchte. Wenn Menschen das aber dennoch erleiden müssen, schwingt häufig der Verdacht mit, die oder der andere habe ihren oder seinen Anteil daran, könne nicht richtig mit Geld umgehen und habe unsolide gewirtschaftet. Gerade die Grünen haben diese individuelle Intuition mit dem Wert der Nachhaltigkeit verknüpft und sich in der Vergangenheit gegen Staatsschulden eingesetzt mit dem Hinweis auf finanzielle Nachhaltigkeit und der moralischen Kategorie der Generationen-Gerechtigkeit.


Außerhalb von Deutschland jedoch ist schon länger eine Abkehr von der Spar- oder Austeritäts-Politik zu beobachten: Japan baut seit zwei Jahrzehnten die weltweit höchste staatliche Verschuldung im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt aus, ohne dass die Inflation angezogen hätte. Die USA sind auf ähnlichem Weg seit Obamas Stimulus Programm, das sich rückwirkend klar als die bessere Antwort auf die große Rezession erwiesen hat als die europäische Austeritätspolitik. Aber auch die EZB schwenkt um: erst unter Mario Draghi nun unter Christine Lagarde fordert sie sehr explizit zum Schulden machen und öffentlichen Investitionsprogrammen auf, weil sich die Geldpolitik am Ende ihrer Möglichkeiten sieht. Trotz Strafzinsen aufs Sparen wollen die Investitionen nicht anspringen . Italien hat in 2018 ein Budget aufgestellt, dass wegen zu hoher Neuverschuldung fast in ein Strafverfahren gemündet wäre. Der Fiskalpakt wird in Brüssel von vielen gehasst.


Auch bei uns mehren sich vorsichtig erste Stimmen: In einem kürzlich veröffentlichten gemeinsamen Forschungsprojekt des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung wird ein Investitionsprogramm von jährlich 45 Milliarden über die nächsten 10 Jahre gefordert. Die neue SPD Spitze hat diese Zahl aufgegriffen und fordert ein 500 Milliarden Ausgaben-Paket für die nächsten zehn Jahre. Die Grünen haben letztes Jahr in einem Positionspapier eine ähnliche Größenordnung gefordert. Sie wollen eine Investitionsregel einführen, die zumindest die jährlichen Abschreibungen für den öffentlichen Kapitalstock kompensiert, möchten jedoch gleichzeitig den Schulden-Stand weiter zurückführen. Bei uns traut sich keine(r) an den Elefant im Raum, keine(r) will an der deutschen Grundüberzeugung  „die beste Staatsschuld ist gar keine Schuld“ rütteln; das institutionelle Korsett ist tabu.


Wie kommt es, dass der Rest der Welt offenbar weit weniger streng über öffentliche Schulden denkt als wir oder anders gefragt: Stimmen die Ursachen, die zu unserer Einstellung geführt haben denn eigentliche noch?

  • Die Inflationshypothese stimmt so nicht mehr: Weltweit haben die OECD Länder eher mit einem Abgleiten in Deflation als mit Inflation zu tun. Etliche Zentralbanker sehen strukturelle, langfristige Kräfte am Werk: etwa die Alterung der Bevölkerung. Der Economist titelte Ende letzten Jahres mit „The world economy’s strange new rules“, in dem er ein radikales Umdenken bei Geldpolitik und Staatsdefiziten fordert und feststellt, dass die Philipps Kurve, der heilige Gral der Makroökonomie, also der historisch beobachtete Zusammenhang zwischen geringer Arbeitslosigkeit und ansteigender  Inflation nicht mehr gültig ist.
  • Die Verdrängungshypothese wird von vielen bestritten, insbesondere bei niedrigen Zinsen, aber selbst wenn sie unter anderen Umständen richtig sein sollte, muß man feststellen: „Der Markt kann’s besser“ gilt jedenfalls nicht für eine sozial gerechte Verteilung. Das vor allen Dingen von Ronald Reagan lautstark gemachte Versprechen, dass der durch Märkte erzeugte Wohlstand allen zugute komme und auch zu den Ärmsten durchsickern würde, hat sich in den letzten 30 Jahren nicht bewahrheitet, eher im Gegenteil. Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich überall in den OECD Ländern massiv ausgeweitet und die Armen sind noch ärmer geworden.
    Der Markt kümmert sich ebenfalls in keiner Weise um Ökosysteme: um unser Klima, die Ozeane, die Wälder, den Artenreichtum: Jede Form von Lösung eines Zielkonflikts zwischen Produktion und Verschmutzung, die versucht mittels Preisen zu bestimmen, wann ein Fluss gerade noch nicht umkippt und stirbt zeigt, wie wenig der Marktmechanismus im Kern zur Natur passt. Auch deshalb kann man klar sagen: Sorge-Arbeit für Mensch und Umwelt erfordert mehr Staat, mehr Kooperation und mehr Commons, nicht mehr Markt.
    Aber auch die ureigenste Domäne von Märkten, die Effizienz und Innovationskraft bekommt Risse: Und zwar auch jenseits der Finanzmärkte, die spätestens seit der großen Finanzkrise ihren Offenbarungseid leisten mussten: 
    Flächendeckend flacht seit vielen Jahren die Produktivitätssteigerung immer weiter ab. Die Ökonomin Marianna Mazzucato stellt fest (z.B. in „The Value of Everything: Making and Taking in the Global Economy“), dass viele Firmen sich aufs Wert abschöpfen statt aufs Wert schaffen konzentrieren: Shareholder value und vor allen Dingen, die daran orientierten Boni des Managements lassen sich viel bequemer durch Aktien-Rückkäufe als durch reale Verbesserungen steigern. Statt neuen Produkten und neuen Märkten ist es oft einfacher, Monopol-Renten abzusichern und auszubauen. Gabriel Zucman stellt in einer Studie fest, dass amerikanische Unternehmen Weltmeister in der Nutzung von Steuer-„Oasen“ sind. Die Clinton Regierung hat 1996 mit der quasi Abschaffung jeglicher Regeln, euphemistisch „checking the box regulation“ genannt, dieser Steuerflucht bewusst Tür und Tor geöffnet. Das erklärt einen erheblichen Anteil der im Vergleich zum Wettbewerb höheren Nachsteuer-Renditen der Amerikaner. Marianna Mazzucato hat in einer Studie (z.B. in das Das Kapital des Staates : Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum) herausgearbeitet, dass die Erfolge in Silicon Valley ganz massgeblich auf staatliche Innovations-Projekte zurückzuführen sind. Dalia Marin aus München spricht von staatlichem „crowding in“ nicht „crowding out“ und fordert eine staatliche Institution für Innovation in Deutschland nach dem amerikanischen DARPA-Modell.
  • Drittens Generationen-Gerechtigkeit: Da in einer Volkswirtschaft jedem Guthaben stets eine Verbindlichkeit in gleicher Höhe gegenübersteht, ist das Saldo aus allen Geld-Guthaben und Verbindlichkeiten stets genau null. Oder kurz: Ersparnisse setzen Verschuldung in gleicher Höhe voraus. Deshalb ist die Kritik an Staatsschulden mit Hinweis auf Generationen-Gerechtigkeit im Kern falsch. Ein logischer Fehlschluss von der Einzelperspektive auf die volkswirtschaftliche Gesamtheit. Öffentliche Schulden werfen Verteilungsfragen innerhalb einer Generation auf nicht zwischen Generationen.

Kritik an den bestehenden Überzeugungen reicht aber nicht. Nach einem alten Sprichwort braucht es eine Theorie um eine Theorie zu ersetzen. Wir brauchen eine echte Alternative. Verantwortungsloses Schulden machen oder Staatswirtschaft statt Marktwirtschaft will keiner, das kann es nicht sein.


Der Springbrunnen statt schwarzer Null als neues Leitmotiv:
Die vom deutschen Ökonomen Wolfgang Stützel entwickelte Saldenmechanik bietet eine universell gültige einfache Orientierung bei der Frage der geeigneten Ober- aber auch Untergrenzen der öffentlichen Verschuldung: Die Summe aus Schulden bzw. Sparen in den Sektoren: Staatsbudget, private Haushalte, Unternehmen sowie Leistungsbilanzsaldo mit dem Ausland ist ex post immer exakt 0. In einer soliden Marktwirtschaft sparen die Privathaushalte, die Unternehmen verschulden sich und das Staatsbudget- Saldo sowie das Leistungsbilanzsaldo sind in etwa ausgeglichen. Das hat sich insbesondere seit der großen Finanzkrise fast überall auf der Welt verändert: Die Unternehmen sind zu Sparern geworden. Der japanische Ökonom Richard Koo macht dafür die nicht verdaute Bilanzrezession von 2008 verantwortlich. Die Staaten haben deshalb die Schuldnerrolle übernommen mit wenigen Ausnahmen. In Deutschland hat sich seit dem Lohndumping der Schröder-Jahre der Export-Weltmeisterschafts-Fetisch (sogar über europäische Vertragsgrenzen hinaus) verfestigt, beflügelt durch den Schutz vor Währungsaufwertung durch die EWU. Bei uns übernimmt das Ausland die Schuldner-Rolle, eine extrem belastende Situation für die Nachbarländer. Darüberhinaus stellen Ereignisse wie Brexit oder US China Handelsstreit oder Trumps Zoll- Drohungen die zentrale Säule unserer Strategie, der Leistungsbilanz-Überschüsse mit anderen Ländern, in Frage. Wer aber übernimmt dann die Schuldner-Rolle in der Saldenmechanik? Die Privathaushalte jedenfalls nicht. Die Sparneigung nimmt durch zunehmende Ungleichheit eher zu, gleichzeitig wird durch die Schrödersche Demontage des Umlageverfahrens in der Rente die private Vorsorge (auch noch teuer subventioniert) in die Höhe getrieben. Das Investitionsklima kann sich also nur nachhaltig verbessern, wenn auch bei uns der Staat  selbst die Rolle des Schuldners übernimmt und investiert (wie in Japan oder USA).  Es geht also bei der Schulden-Frage auch zentral um die schon rein logische Erkenntnis, dass in dem Moment, in dem das deutsche Exportmodell zurückgefahren wird, der Staat Schulden machen muss, sonst droht eine tiefe Rezession.

Diese Sichtweise erklärt auch den zum Teil berechtigten Ärger in Italien. Italien hat zu den privaten Sparer*innen und zu den sparenden Unternehmen keine Gegenposition im Ausland. Staatsschulden wird dem Land aber durch die europäischen Verträge versagt. Ohne Gegenposition bleibt Italien in einer Rezession gefangen. Das ist die unerbittliche Logik der Saldenmechanik. Mit den schlimmen Konsequenz, dass andauernde Wirtschaftskrisen einen Nährboden für Rechtspopulismus bieten und berechtigte Euro-(pa)-Skepsis.

Ganz in der Logik der Saldenmechanik war in den jungen Jahren der Bundesrepublik in Bank-Kreisen für das Schulden machen der Vergleich mit einer Fontäne populär (Berliner Bank AG Die Börse (1954), Januar 1955 S. 14). Der Staat nimmt Kredit auf (saugt Wasser ab) und beschert dem Privatsektor durch Ausgaben und Zinszahlungen gleichzeitig eine Vermögenszufuhr (Fontäne). Der Kreislauf des Springbrunnens ist stabil, solange das Geld per Saldo nicht dauerhaft ins Ausland abfliesst. Solange wir also als Volkswirtschaft insgesamt nicht über (aber auch nicht unter) unseren Verhältnisse leben und eine ausgeglichene Leistungsbilanz haben, haben wir ein stabiles System. Mit freien Waren und Kapital-Märkten gibt es eine demokratische Wächterfunktion, die beurteilt, ob die Entscheidungen der Politik auch wirtschaftlich vernünftig sind, sonst setzt Kapitalflucht ein oder der Wechselkurs sinkt ins Bodenlose und verteuert Importe ins unerschwingliche. (Hitler und viele Despoten haben diese Wächterfunktion durch Devisenbewirtschaftung ganz früh ausgeschaltet) (Mit Wächter-Funktion sind nicht Devisenspekulationen gemeint, diese sollten z.B. mit einer Finanz-Transaktionssteuer eingedämmt werden). Also kurz, nicht die Staats-Schulden sind das entscheidende sondern eine ausgeglichene Leistungsbilanz mit anderen Ländern.

Der Ökonom Carl Christian von Weizsäcker hat den Vorschlag gemacht, den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt durch ein Leistungsbilanz-Abkommen zu ersetzen . Es soll angestrebt werden, dass alle Länder eine ausgeglichene Leistungsbilanz haben. Bei niedrigen Zinsen d.h. geringer als die Wachstumsrate sind insbesondere die Überschussländer gefragt, Überschüsse abzubauen, bei hohen Zinsen umgekehrt die Defizitländer, ihre Defizite zu verringern. Diese Strategien sind jeweils im absoluten Eigeninteresse und bewegen den Zinssatz gemäß der goldenen Regel der Kapitalakkumulation in die Nähe der Wachstumsrate. Durch stärkeren Einsatz von inflationsindexierten Anleihen und von an die BIP-Entwicklung gekoppelten Anleihen, die der Nobelpreisträger Robert Shiller vorgeschlagenen hat, will er außerdem einen besseren Interessen-Gleichklang zwischen Staat und Bürger*innen herstellen. Anders als hier hat er das mikroökonomisch begründet. (siehe z.B. zusammen mit Hagen Krämer (Sparen und Investieren im 21. Jahrhundert: Die große Divergenz). 

Salopp gesagt, sollte jedes Land durch Zusammenarbeit zwischen Staat und Privatwirtschaft versuchen, seinen Springbrunnen in Ordnung zu halten. Ohne strukturelle Lecks und ohne dauerhafte Wasserzufuhr von aussen und mit soviel Wasser wie nötig und förderlich für das Gedeihen des Gesamtwohls. Bei einem jährlichen Leistungsbilanzüberschuß von rund 200 Milliarden jedes Jahr in den letzten 10 Jahren – letztes Jahr sogar Weltrekord von 260 Milliarden Euro – hätten wir soviel „Wasser“ zur Verfügung, dass man mit Fug und Recht fordern kann, mit einer „whatever-it-takes“ Einstellung den sozial-ökologischen Umbau anzugehen und das europäische Projekt nicht durch starrsinniges Festhalten an Regeln zu gefährden, dessen Grundlagen sich verändert haben.


Schönen Gruß aus Berlin

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