Planetary Health Diet

Gartenernte

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Essen wird meist als ureigenste Privatsache angesehen. Dabei ist Essen hochpolitisch. Unsere Enährungsgewohnheiten und landwirtschaftlichen Methoden verursachen die größte soziale und ökologische Katastrophe: Ein Lösungsvorschlag des Potsdamer Instituts für Klimaforschung und der Harvard Universität: die Planetary Health Diet.

Essen ist ureigenste Privatsache. Die Grünen sind noch heute in ihren Forderungen durch das Veggie-Day Trauma vom Bundeswahlkampf 2013 gehemmt. Selbst Luisa Neubauer, die eloquente Sprecherin von Fridays for Future drückte sich in dieser Frage vor einer klaren Haltung beim letzten Konvent zum Grundsatz-Programm der Grünen in Berlin. Niemand will sich dem Vorwurf aussetzen, andere bevormunden zu wollen, den Nanny-Staat zu propagieren oder Verbotspartei zu sein.

Ähnliches in den USA: Sarah Palin geisselte Michelle Obama’s Ernährungsprogramm: Soll die Regierung oder wir Eltern entscheiden, was unsere Kinder in der Schule essen? Donald Trump verkündet dieses Jahr ausgerechnet an Michelle Obamas Geburtstag, die Schulessen-Reformen zurückzunehmen und feixte: „Das ist großartig, viele Kinder waren den ganzen Tag hungrig, weil sie das meiste Schul-Essen nicht mochten.“

Aber Essen ist hochpolitisch und nicht nur die Frage, ob der Staat sich in unsere Ernährung einmischen darf: Unsere Ernährung, die Landwirtschaft und die Ernährungsindustrie verursachen die weltweit gesehen größte, gleichzeitig ökologische und soziale Katastrophe.

  1. Der IPCC, die maßgebliche internationale Expertenorganisation in Bezug auf Klimawandel schätzt, dass 30% der klimaschädlichen Treibhausgase durch Abholzung und Emissionen aus der Viehzucht, Bodenbearbeitung und Düngung sowie Nahrungsmitteltransport entstehen. Die relative Bedeutung der Land-Nutzung für den Klimawandel steigt sogar auf über 30%, wenn man berücksichtigt, dass z.B. durch Wiederaufforstung Kohlendioxid aus der Atmosphäre auf der Erde gebunden werden kann. Darüberhinaus werden fünf weitere planeterare Grenzen, nämlich Artensterben, Waldrodung, Frischwasserverbrauch sowie Phosphor- und Nitrat-Verseuchung maßgeblich durch die Landwirtschaft verursacht. (Siehe z.B. Toni Meier Planetary Boundaries of Agriculture and Nutrition – an Anthropocene Approach).
  2. Gleichzeitig ist Fehlernährung in all seinen Formen die Hauptursache für globale gesundheitliche Probleme. Knapp 2 Milliarden Menschen sind übergewichtig (BMI >25) und zum Teil von ernährungsbedingten nicht infektiösen Krankheiten wie Diabetes 2, Herzkreislauf-Erkrankungen oder einzelnen Krebsarten betroffen. Ebenso leiden weitere 2 Milliarden Menschen an Mangelerscheinungen oder müssen sogar hungern. Laut Robert Koch Institut sind alleine in Deutschland knapp über die Hälfte der Menschen übergewichtig, etwa 10% leiden an Diabetes. Am stärksten betroffen sind die unteren Bildungsschichten sowie im regionalen Vergleich Ostdeutschland. Schätzungen ergeben, dass die Kosten für die globale Wirtschaft durch Unterernährung, Mangelerscheinungen sowie Übergewicht bis zu jährlich 3,5 Billionen Dollar betragen. (siehe z. B. Development Initiatives, 2017. Global Nutrition Report 2017: Nourishing the SDGs. Bristol, UK.

Diese Doppel-Krise wird durch Bevölkerungswachstum und Klimawandel dramatisch verschärft. Eine Laisser Fair-Haltung beim Essen und der Nahrungsmittelherstellung sollte selbst für Markt-Fundamentalisten inakzeptabel sein.

Jeder einzelne von uns und alle zusammen können zur Verbesserung beitragen: Eine weltweite Ernährungsumstellung: pflanzenbasiert, nicht prozessiert, gerade genug ohne Abfälle: The Planetary Health Diet wurde von der EAT Lancet Kommission entwickelt. EAT ist eine schwedische NGO. Lancet, das renommierteste medizinische Fachjournal. Die Kommission steht unter der Leitung von Johan Rockström, dem Co-Leiter des Potsdamer Instituts für Klimaforschung und Walter Willett, einem Mediziner aus Harvard. Der Abschlussbericht feiert in diesen Tagen seinen einjährigen Geburtstag: Die Empfehlungen beruhen auf drei Säulen:

  1. Globale Ernährungsumstellung. Ziel ist eine variantenreiche pflanzenbasierte Ernährung- die planetary health diet. Diese geht einher mit einer drastischen Reduktion des Fleischkonsums und von Milchprodukten, sowie deutlich weniger Zucker und hochprozessierten Lebensmitteln und einem erhöhten Anteil an Obst und Gemüse, insbesondere Leguminosen wie Erbsen, Bohnen, Linsen sowie Nüssen. Die gesundheitliche Wirksamkeit wurde durch extrem umfangreiche globale epidemiologische Langzeitstudien untersucht (in China, Mittelmeerdiät, etc).
  2. Drastische Reduktion der Nahrungsmittelverschwendung in der gesamten Wertschöpfungskette.
  3. Umstellung der Landwirtschaft weg von Monokulturen, die vor allen Dingen der Futtermittel- sowie Treibstoffherstellung dienen. Hin zu mehr Variantenreichtum und nachhaltigen, effizienten Methoden in Bezug auf Düngung, Bewässerung und Bodenpflege.

Was sollen wir als Gesellschaft konkret tun?

Verhaltensänderungen sind bei ausreichendem politischen Willen auch früher schon erreicht worden: z.B. beim Rauchen, bei der Nutzung von Kondomen oder bei der Einführung der Gurtpflicht.
Neuseeland hat sich mit explizitem Hinweis auf EAT-Lancet auf die Ernährungsumstellung verpflichtet. Bei uns ist Renate Künast eine der wenigen Politiker*innen, die klar forderen, dass es neben der Agrarwende eine Ernährungswende geben muß.
Den Worten müssen Taten folgen. Die Essens-Auswahl wird stark durch Geschmack, Kosten und Bequemlichkeit bestimmt. Durch Nudging, finanzielle Anreize und Regeln lässt sich viel erreichen: z.B. bei staatlichen Ernährungs-Empfehlungen, Ernährungs-Ampeln, Einschränkungen der Werbung am Point of Sale an Orten, an denen sich vermehrt Kinder aufhalten. In Berlin sitzt der Senat immerhin nach dem Vorbild von Kopenhagen an einer Ernährungsstrategie und hat beispielsweise durch die Gemeinschaftsverpflegung in Kitas, Schulen, Krankenhäusern, Mensen eine große Einflussmöglichkeit. Wie immer sitzt der Teufel im Detail: Die Schulen haben leider ihre Küchen abgeschafft, Krankenhäuser haben oft ein Budget von weniger als 5 Euro pro Tag und Patient*in.
In der Ernährungsindustrie kann man leider nur ein kolossales Marktversagen konstatieren. Unsere ungesunden Ernährungsgewohnheiten sind geprägt durch Jahrzehnte strategischer Werbemanipulation. Zucker ist beispielsweise ein omnipräsentes Suchtmittel in Softdrinks und schlecht markiert in eigentlich allen Fertigprodukten. Mexiko und 2018 auch England haben reagiert und erste Erfolge mit der (Wieder-)einführung einer Zuckersteuer erzielt.

Zur zweiten Strategie Abfallvermeidung ist eine nachahmenswerte Regelung vor 4 Jahren in Frankreich eingeführt worden: Französische Supermärkte sind gesetzlich verpflichtet, übrig gebliebene Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen zu spenden. Das traut man sich hierzulande leider nicht.

Die am häufigst diskutierten Forderungen zielen auf die dritte Strategie, die Umstellung der Landwirtschaft ab:
Auf europäischer Ebene werden Subventionen weitgehend pauschal nach Fläche und dem Primat der internationalen Wettbewerbsfähigkeit gesteuert. Es gibt immer noch massive, gerade für den globalen Süden schädliche Exportüberschüsse. Statt konsequent den Umbau in eine ökologisch und klimaverträgliche Landwirtschaft zu fördern, befeuert die EU letztlich einen fatalen globalen Agrar-Handelskreislauf. Wachsende Exportüberschüsse im Bereich der klimaschädlich erzeugten tierischen Produkte wie Milch und Schweinefleisch benötigen immer weiter steigende Sojaimporte, für die Regenwälder abgeholzt werden müssen (mit Mercosur wird’s noch schlimmer). Der Zwang zu Größenerträgen führt zu Landgrabbing und massenhaftem Sterben von kleinen deutschen Biobauernhöfen. Derzeit wird in der Europäischen Union der Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) 2021-2027 und das GAP, das landwirtschaftliche Subventionsprogramm verhandelt. In der Vergangenheit betrug der Anteil der EU-Ausgaben für die Landwirtschaft rund 40 %. Leider höre ich im Rahmen des Green Deals recht wenig Aufbruchstimmung in dieser Richtung.
National wird die Besteuerung von schädlichen Nebenwirkungen diskutiert: z.B. Treibhausgase wie Lachgas und Methan oder den wegen seiner Resistenz- fördernden Nebenwirkungen so heiklen Antibiotikaeinsatz bei der Tierhaltung, aber auch Nitrat- und Pestizid-Belastung. Parallel könnte man die industrielle Tierhaltung auch durch Regularien schrittweise etwas weniger schlimm machen und perspektivisch abschaffen. Auch hier leider Stillstand, man erinnere sich nur an die beschämende Entscheidung zur Ferkelkastration im Bundesrat.

Einiges wird augenscheinlich jenseits der politischen Akteur*innen passieren: Vegane Restaurants sprießen in Berlin aus dem Boden, Fleisch-Ersatz Firmen in Silicon Valley werden gehypt, Solawis immer populärer.

Trotzdem hat die Ernährungswende in der öffentlichen Aufmerksamkeit lange nicht die Bedeutung, die sie haben sollte. Auch deshalb nicht überraschend, dass sich im Klimapaket der Bundesregierung nichts zur Ernährungswende, Lebensmittelverschwendung und lediglich ein paar unkonkrete Lippenbekenntnisse zum Umbau der Landwirtschaft finden.

Deshalb liebe Leser*innen, sprecht darüber.

Schönen Gruß aus Berlin

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